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Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon
Autoren: Sylvia Roth
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Teresa trocken: „Claro. Somos católicos!“
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    Katholisch sind auch die Kirchenglocken, die kurz darauf läuten, genauer: die Hochzeitsglocken. Laut, voll, rund – und erwartungsvoll klingen sie. So erwartungsvoll wie Inês und Pedro sich nun wohl fühlen mögen. Wie verliebt waren sie gewesen, im April bei unserem archäologischen Barbecue und im Mai bei der Radtour; als wollten sie der Schwerkraft eine lange Nase drehen. Ganz schnell war es von da an gegangen, und vor wenigen Wochen hatte mir Inês bei einem Cafézinho das Geheimnis verraten: „Er hat mich mit verbundenen Augen bis Monsanto gefahren, hat mich dort zu einem verlassenen Plätzchen geführt – und mir einen Heiratsantrag gemacht.“ Ich schaute in ihr vor Glück strahlendes Gesicht und erinnerte mich an jenen Samstag im Oktober, als sie mir auf dem Feira da Ladra von ihrem Liebeskummer erzählte. Und an ihr schüchternes Silvestergeständnis.Aberglaube hin oder her: Die Rosinen haben ganze Arbeit geleistet!
    Mit angezogenen Knien kauern Teresa und ich nun auf einem engen Holzbänkchen in einer winzigen Kirche in der
    Alfama, es duftet nach Weihrauch, aber auch nach Parfum und After Shave – eine Hochzeit ist in Portugal ein Anlass, sich fein zu machen, den besten Anzug und das Seidenkleid aus dem Schrank zu holen, beim Cabeleileiro die Haare ondulieren oder sich noch einmal sorgfältig rasieren zu lassen, ja, selbst die Kinder werden mit Lackschühchen und Schleifchen herausgeputzt, als seien sie einer Bonbonniere entsprungen. Teresa zeigt mir ihre Gänsehaut, als die Orgel zu spielen beginnt und das Brautpaar die Kirche betritt. Wunderschön sieht Inês aus, so, als stamme sie aus einem Fotoalbum der Sechzigerjahre, sie trägt das Hochzeitskleid ihrer Mutter, knielang, dazu atemberaubend hohe Pumps, ein weißes Band in den schwarzen Haaren, die am Hinterkopf toupiert sind. Und Pedro, der Bräutigam, hat sich passend dazu den Anzug im Secondhandshop gekauft, hip wirken sie, die beiden, „fixe“. Und sehr glücklich.
    Eigentlich hat Inês nicht mehr allzu viel mit Religion am Hut. Sie hatte mir einmal erzählt, dass sie sehr streng religiös erzogen worden sei – in einem Kindergarten, der von Nonnen geleitet wurde und in dem sie mit vier Jahren eine kleine Revolution probte, weil sie nicht einsehen wollte, warum sie im Gottesdienst nicht auch eine Hostie essen darf, so, wie die Erwachsenen. Und später, auf der Schule, musste sie ein Mal pro Woche zur Beichte. „Irgendwann fand ich das alles so einengend, dass ich mich von der Kirche distanziert habe und nur noch auf dem Papier Katholikin war.“ Ähnlich ist es bei anderen Portugiesen, die ich kenne. Marta und Jorge gehen am Sonntagmorgen nicht in die Kirche, sie fahren stattdessen zum Parque das Nações,um joggen zu gehen. Tiago frotzelt gerne, dass er als Kind nur zum Gottesdienst wollte, weil er dann Gelegenheit hatte, seinen weißen Blazer zu tragen. Und Teresa meinte lapidar: „Weißt du, was jemand an eine Hauswand neben der Universität in Coimbra gesprüht hat? Gott befreit uns von der Religion. Daran glaube ich.“ Einzig Victor hat in seinem Laden neben der Kasse ein Heiligenbildchen hängen, aber in die Kirche habe ich ihn noch nie gehen sehen.
    Obwohl all meine hiesigen Bekannten ein gespaltenes Verhältnis zur Religion haben, wirkt Lissabon wie eine zutiefst religiöse Stadt. In jedem zweiten Schaufenster gibt es Devotionalien, Marienstatuetten und Rosenkränze zu kaufen, viele Cafés besitzen einen kleinen Altar – und die Kirchen werden wie „santuários“, wie Heiligtümer, behandelt. Der einzige Wutanfall eines Portugiesen, den ich während meines gesamten Aufenthaltes erlebt habe, spielte sich in einer Igreja ab: Als ein Tourist das Fotografierverbot ignorierte, begann der Messdiener dermaßen sturzgewitterartig zu toben, dass sogar die Stuck-Engel an der Decke erröteten. Für die Gläubigen ist die Kirche ein geschützter Raum – aber auch für die, die es mit der Religion nicht so genau nehmen, werden die Igrejas bisweilen zur spontanen Andacht genutzt, als Ruheorte, an denen es sich nach der Arbeit oder in der Mittagspause ein wenig nachdenken und ein paar Stoßgebete zum Himmel schicken lässt, als Enklaven, an denen man in Notsituationen eine Kerze anzündet oder im Flüsterton den neuesten Tratsch mit dem Nachbarn tauscht. Vielleicht weil der Geruch nach Weihrauch von klein auf genauso zum portugiesischen Leben dazugehört wie die Meeresluft, ist der
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