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Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon
Autoren: Sylvia Roth
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welchen Mitteln sie mich fortan okkupieren wird. Ich frage mich bang, wie das Leben sein wird ohne die Sonne und das Licht dieser Stadt, ohne den Geruch nach Cafézinho, ohne die portugiesische Sprache, die ich so lieben gelernt, und ohne die Menschen, die ich so sehr ins Herz geschlossen habe. Wie wird es sein ohne Lisboa, a minha cidade maravilhosa?
    Ich könnte nun anfangen, alles Erlebte nachträglich zu relativieren, könnte nach den negativen Seiten suchen und sie auflisten, um mich leichter von Lissabon trennen zu können. Das will ich aber gar nicht. Denn so ist das nun mal, wenn man etwas oder jemanden besonders gerne mag: Dann ist man bereit, zu übersehen. Dann weiß man zwar, dass das Gegenüber Macken und Tücken hat, aber man kann sie großzügig ignorieren, kann den anderen einfach so nehmen, wie er ist. Und ehrlich gesagt habe ich auch gar keine Zeit, die schlechten Seiten von Lissabon aufzuzählen. Denn es gibt noch so unendlich vieles, was ich in diesen letzten beiden Wochen erleben will.
    • Ich gehe mit O Senhor Silva in Museen, die mich vorher nie interessiert haben. Im Museu Nacional dos Coches in Belém schauen wir uns königliche Kutschen an, verziert mit allerhand Gold und allegorischen Malereien. Und im Militärmuseum nahe dem Bahnhof Santa Apolónia offenbart sich uns in Gestalt von Ritterrüstungen, Säbeln mit Marmorgriffen und Musketen mit Perlmutt-Einlagen die patriotische Suche nach Ruhm – und gleichzeitig eine bodenlose Ignoranz gegenüber den Kolonialkriegen: Nur in einem kleinen Kämmerchen werden sie abgehandelt, Worte werden lediglich über die Opfer auf portugiesischer, nicht aber über die auf afrikanischer Seite verloren.
    • Ich versöhne mich mit der kleinen alten Dame, der Eléctrico 28, und fahre einen Sonntag lang drei Mal die gesamte Strecke von Martim Moniz bis nach Prazères hin und zurück.
    • Ich frage die kleinen Jungs, die ich nach der Arbeit immer in der Travessa Queimada im Bairro Alto Fußball spielen sehe, ob ich eine Runde mitbolzen darf. Ich darf, aber es gelingt mir nur ein einziges Mal, Ballkontakt zu haben – dafür aber mindestens zehn Mal „Eh pá!“ zu rufen, was, wie ich finde, nicht minder professionell ist.
    • Ich bringe alle Bücher zurück in meine geliebte Bibliotéca Municipal de Camões und lasse auch meinen Ausweis dort.
    • Ich tue etwas, was ich ein Jahr lang vermieden habe: Ich nehme meinen Fotoapparat und versuche, Lissabon ins Objektiv zu bannen. Es gelingt mir nicht. All das, was ich mit Lissabon verbinde, lässt sich nicht in ein zweidimensionales Rechteck quadratieren. Deshalb beschließe ich stattdessen, die Azulejos zu dokumentieren, die mir bei meinen Streifzügen begegnen. Grüne mit Rautendekor, blauweiße mit Blumenmuster, braun-orangene mit Siebzigerjahre-Motiv.Alle mit der Patina Lissabons und zugleich mit dem Licht der Stadt versehen.
    • Und danach fotografiere ich Türen, denn nirgends sind sie so schön wie in Lissabon: große schwere grüne Flügeltüren mit Metallgeflecht in der Mitte. Hellblaue Türen, von denen der Putz abbröckelt. Und rote, frisch lackiert.
    • Und wo ich die Kamera nun schon bei mir trage, tue ich auch gleich noch etwas entwürdigend Touristisches – ich lasse mich gemeinsam mit dem bronzenen Fernando Pessoa vor dem Café „A Brasileira“ fotografieren. Dass das Foto von einem Japaner geschossen wird, hat aber, so finde ich, schon wieder Stil.
    • Ich revidiere meine Äußerungen zur Mode in Lissabon und kaufe mir ein sündhaft teures, traumhaft schönes, klaustrophobisch enges Kleid. Es ist schwarz und von Spitze durchwebt, es trägt einen Hauch von Fado in sich, und ich finde, dass es sich mit all diesen Eigenschaften wie eine Metapher überstreifen lässt, eine Metapher für Lissabon. So wortreich erkläre ich zumindest meinem Kontoauszug die Dringlichkeit der Anschaffung.
    • Ich will noch einmal auf die andere Tejo-Seite und dieses Mal keinen Sonnenauf-, sondern einen Sonnenuntergang beobachten. Also nehme ich die Fähre nach Cacilhas, laufe zum gläsernen Aufzug, lasse mich nach Almada hochfahren und mir währenddessen von dem alten Mann, der den Aufzug bewirtschaftet, erzählen, dass er gestern sechs Delfine den Tejo hat hinunterschwimmen sehen. Sechs Delfine – und sogar ein kleines Delfin-Baby sei dabei gewesen. Daher kommt es, dass ich an Delfine denke, während ich die Sonne mit den Augen dabei begleite, wie sie hinter der Ponte de 25 Abril in leuchtendem Orange
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