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Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon
Autoren: Sylvia Roth
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Umgang mit der Religion ein undogmatischer: Braucht man sie, lassen sich die Kirchen wie kleine Versicherungsstationen im Alltag nutzen, und wenn nicht, auch einfach wieder vergessen.
    So jedenfalls scheint Inês ihr Verhältnis zur Religion zu handhaben. Denn obwohl sie keine praktizierende Katholikin mehr ist, war die Initiative, in der Kirche zu heiraten, von ihr ausgegangen. Und deshalb ist es nun ein Pfarrer und kein Beamter, der sie fragt: „E tu, Inês, queres aceitar Pedro aqui presente como legítimo esposo até que a morte vos separe?“ – „Sim.“ – „E tu, Pedro, queres aceitar Inês como legítima esposa até que a morte vos separe?“ – „Sim.“ Die Ringe werden angesteckt, während im Kirchenraum der Atem angehalten, Tränen verdrückt und Taschentücher gezückt werden und der Pfarrer schließlich den Segen gibt: „Eu vos uno no Matrimônio, em nome do Pai, do Filho e do Espírito Santo. Amém.“ Und dann darf die Braut geküsst werden – unter dem Applaus aller.
    Draußen vor der Kirche knallen die Sektkorken und rieselt der Reis auf das frischgebackene Brautpaar herab. Inês’ Lehrerkollegen haben ein kleines Ständchen einstudiert, das sie a cappella zum Besten geben, ehe wir in einer Autokolonne nach Monsanto fahren, der großen Grünfläche Lissabons, wo Pedro Inês den Heiratsantrag gemacht hat und wo nun zum Picknick geladen wird. Neben der alten Windmühle nahe dem Amphitheater, mit herrlichem Blick auf den Tejo, werden Vinho Verde und Feijada, der deftige Bohneneintopf, ausgepackt, Steaks auf den Grill geworfen und Unmengen an Kuchen aufgefahren. Die Jogger ziehen unermüdlich ihre Runden durch den Park, auf dem Basketballfeld nebenan prellen ein paar Jungs unter großem Einsatz den Ball gen Korb, Inês’ kleine Nichte Rita fängt einen Grashüpfer und bricht in Tränen aus, als sie ihn vor lauter Fürsorglichkeit in den Händen zerquetscht. Der Vater der Braut hält eine Rede und gesteht, schrecklich eifersüchtig auf seinen Schwiegersohn zu sein, und als alle sich sattgegessen haben, wird das Basketballfeld kurzerhand zur Tanzfläche.
    Auch Teresa und ich „hotten“ ein bisschen, dazwischen spiele ich Federball mit der kleinen Rita, die den Grashüpfer schon längst wieder vergessen hat, und erfahre von ihr, dass sie später einmal Lokomotivführerin werden will. Und wie schön sie, trotz Schleifchen am Kleid und im Haar, das Rad auf dem Rasen schlagen kann, zeigt sie mir auch. Pedros Mutter erzählt, dass sie vor einigen Jahren für ein paar Tage in Hamburg gewesen sei und sich gewundert habe, wieso die Menschen dort ihre Fahrräder bis in die Wohnung mitnehmen. Außerdem, so erinnert sie sich, seien die Portionen im Fernsehturm-Restaurant so klein gewesen, dass sie den Kellner fragen wollte, ob sie den Teller auch mitessen dürfe. Aber natürlich habe die fantastische Aussicht alles wettgemacht und der Apfelkorn habe ihr so gut geschmeckt, dass sie sogar eine Flasche mit nach Portugal genommen habe.
    Erst, als die Dunkelheit einzubrechen beginnt, verabschiede ich mich, umarme Inês und Pedro und wünsche ihnen noch einmal alles erdenklich Gute. Und dann fange ich an zu weinen.
    ✽✽✽
    Ich kann die nächsten zwei Wochen nicht mehr aufhören zu weinen, denn mein Abschied aus Lissabon steht bevor. Nun beginnt, dass alles „zum letzten Mal“ stattfindet. Ich kann nicht mehr fröhlich „Até já, até logo, até amanhã, até a próxima – bis gleich, bis später, bis morgen, bis zum nächsten Mal“ sagen, sondern ich muss immer öfter ein Wort verwenden, das so endgültig ist, dass die Portugiesen es nur selten gebrauchen: „Adeus“. Ich will die Zeit festhalten, will dableiben, will verhindern, dass mein Jahr in Lissabon zu Ende geht. Eine Traurigkeit bohrt in mir, eine Angst davor,etwas loslassen zu müssen, das ich nicht loslassen will. Es fühlt sich an wie Liebeskummer.
    Es hat mich also erwischt. Noch bevor ich überhaupt weggefahren bin, kriecht sie schon in mir hoch, die Saudade. Ich hatte sie immer für ein viel bemühtes Klischee und eine Erfindung der Literaten gehalten, denn hier im Alltag ist sie mir kaum begegnet, im Gegenteil. Ich habe die Portugiesen nur selten als Melancholiker, sondern meist als fröhliche, humorvolle Menschen erlebt. Die Saudade, diese Sehnsucht nach etwas Verlorenem,Vergangenem, Unerreichbarem, war höchstens im Fado ein Thema gewesen. Doch nun, als die Abreise naht, bekomme ich eine Ahnung davon, was Saudade ist und mit
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