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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer
Autoren: Tanja Wekwerth
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noch einmal um. »Und meinten Sie wirklich, dass Aquarien nicht einfach so explodieren, oder gehörte das schon zur neuen Therapie?«
    »Jeden Tag explodieren in Deutschland Tausende von Aquarien, Herr Schleyberger. Und Tausende von Frauen kommen deswegen zu spät zu ihren Verabredungen.«
    Mit weit aufgerissenen Augen nickte Schleyberger, dann verschwand er ohne ein weiteres Wort.
    Theodor war das Lachen vergangen. Wenn er etwas hasste, dann war es Unbeherrschtheit, Unkontrolliertheit, Unprofessionalität. Merkwürdigerweise waren das genau die Eigenschaften, die er sich in letzter Zeit immer häufiger selbst zuschreiben musste. Wie neulich im Kino, als er plötzlich nicht mehr in der Lage gewesen war, sich auf den Film zu konzentrieren. Auf einmal nahm er nur noch schmatzende Kussgeräusche, Husten, Flüstern, Schniefen und das knurpsende Kauen unzähliger Popcornfresser wahr. Er hatte versucht, ruhig zu atmen, tief ins Tandien hinein, wie es ihm seine Qigong-Lehrerin beigebracht hatte, doch davon wurde ihm plötzlich übel, und völlig entnervt war er aufgestanden und hatte »Ruhe, verdammt noch mal!« in den dunklen Kinosaal gebrüllt. David hatte ihn hinausführen müssen. Was war nur los mit ihm?
    Theodor griff zum Telefonhörer.
    ▶◀
    Der Pinsel jagte wie ein gehetztes Tierchen über die Leinwand, übersprang in weitem Bogen ein Gebilde, das aussah wie eine burgunderrote Bodden-Seenlandschaft, und landete inmitten von schwarzen Sprenkeln, einen grünen Fleck hinterlassend, der weniger Effekt hatte, als beabsichtigt gewesen war.
    David kniff die Augen zusammen und trat einen Schritt zurück.
    Das Telefon klingelte.
    Erschrocken zuckte er zusammen.
    Er könnte das schrille Klingeln einfach ignorieren, weitermalen und diesen lächerlichen laubfroschgrünen Fleck in etwas Smaragdhaftes verwandeln. Doch er war zu neugierig und nahm ab.
    »Hallo?«
    »Ich bin’s.«
    »Was gibt’s?«
    »Ich habe eben einem Klienten gesagt, dass er ein selbstsüchtiger Langweiler ist, und dann habe ich es nicht geschafft, einen Lachkrampf zu unterdrücken.«
    David gab einen gackernden Laut von sich.
    »Das ist nicht lustig«, sagte Theodor.
    »Doch, ist es. Es klingt nach einer Szene aus einem Woody-Allen-Film.«
    »Na ja.«
    »Was möchtest du von mir hören?«
    »Ich weiß nicht.«
    David fixierte den grünen Fleck. Er hat das ganze Bild versaut, dachte er. Ich werde ihn übermalen.
    »Bist du noch dran?«
    »Ja«, antwortete David. »Lass uns heute Abend in Ruhe darüber reden. Vielleicht hast du eine Midlife-Crisis oder so was.«
    »Ich bin viel zu alt für eine Midlife-Crisis!«, begehrte Theodor auf.
    »Dann ist es eben eine Altersdepression.«
    »Du bist gemein.«
    »Heute Abend, Theodor, ja? Ich komme zu dir. Um halb acht bin ich da.«
    »So spät erst?«
    »Ich muss hier fertig werden.«
    »David?«
    »Hm?«
    »Ach, nichts.«
    »Was?«
    »Nichts.«
    »Na dann.«
    »Bis heute Abend.«
    David legte den Hörer zurück auf die Ladestation und starrte einen Augenblick auf seine farbverschmierten Handrücken. Was war nur los mit Theodor? Er klang überarbeitet und müde. Er sollte ein bisschen kürzertreten, schließlich war er nicht mehr der Jüngste, immerhin fünfzehn Jahre älter als er. David seufzte. Dann richtete er seine Konzentration wieder auf den grünen Fleck. Vielleicht war er doch nicht so übel? Er würde ihn erst einmal trocknen lassen und dann entscheiden.
    ▶◀
    Um einundzwanzig Uhr traf David in Theodors Wohnhaus am Lietzenseepark ein, das nur einen kleinen Spaziergang von seiner Praxis entfernt lag. Er klingelte. Dreimal kurz, dreimal lang, ihr Erkennungszeichen. Der Türöffner ertönte sofort, der Fahrstuhl im Jugendstil stand auch schon bereit. Rumpelnd beförderte er David in den vierten Stock. Es roch nach Berliner Hausflur, ein wenig staubig und alt . David wäre lieber im Freien geblieben. Der Sommerabend war so herrlich. Vielleicht könnte man noch einmal ausgehen?
    Als der Fahrstuhl mit einem Ächzen hielt, öffnete Theodor gerade die Wohnungstür. Er trug eine Küchenschürze mit provenzalischem Muster und hatte bereits eine halbe Flasche Rioja getrunken. Sein emotionaler Zustand schwankte zwischen Niedergeschlagenheit und Aggressivität. Mit einem Grissini-Stängchen deutete er anklagend auf sein Gegenüber. »Warum bist du so spät?«
    »Ich habe mich über einem grünen Fleck verloren«, antwortete David, der das Fahrstuhlgitter etwas zu kraftvoll hinter sich zufallen ließ. »Ich kann mich
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