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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer
Autoren: Tanja Wekwerth
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Spirituosengeschäft zu halten, um eine Flasche Pommery zu kaufen. Dann ging die rasante Fahrt weiter. Draußen regnete es. Das würde Theodor, die eisgekühlte Flasche Champagner an sein wild schlagendes Herz gepresst, niemals vergessen.
    Die Wohnung war leer, nur im Wohnzimmer war ein enormer Wandspiegel im Napoleon-Stil hängen geblieben. Theodors aufgekratzter Überschwang verflog, was nichts mit dem Spiegel zu tun hatte, der ihm gut gefiel. Aber er war sich des großen Moments bewusst, und andächtig, wie bei einer Kirchenbesichtigung, schritt er durch alle sieben Zimmer. Das Parkett knarrte unter seinen Schritten, was er als einen Willkommensgruß interpretierte. Und dann – Theodor (der seinen Rundgang gerade beendet hatte und wieder im Wohnzimmer angelangt war) wusste das wirklich zu schätzen, denn er liebte dramatische Szenen – brach urplötzlich eine winterliche Nachmittagssonne aus den Wolken hervor und fing sich im goldenen Rahmen des Spiegels. Theodor nahm die Champagnerflasche vom marmornen Kaminsims und ließ den Korken knallen. Nun konnte das Leben losgehen.
    »Ich überleg es mir in Ruhe.« David spießte ein Brokkoli-röschen auf seine Gabel, das so weich gekocht war, dass es auf den Teller zurückfiel.
    »An was hast du eben gedacht?«, fragte Theodor. »Als du aus dem Fenster geschaut hast.«
    »Warum willst du das wissen?«
    »Nur so.«
    David stöhnte. »Man kann sich keinen Augenblick mit dir unterhalten, ohne dass du einen bis auf die Knochen analysierst. Neulich hast du sogar eine Telefonmitarbeiterin vom Otto-Versand ganz mürbe gequatscht.«
    »Woran hast du gedacht?«
    David lächelte boshaft. »An die Titanic .«
    »Oh«, machte Theodor betroffen. »Dafür muss man nicht studiert haben, um zu begreifen …«
    »Es ist eine Frage des Blickwinkels«, erwiderte David gelassen.
    »Ich bin der Eisberg, du die Titanic ?« Fragend hob Theodor die Augenbrauen.
    »Falsch.«
    »Ich bin Kapitän Smith, und du bist die White Star Line?«
    »Auch nicht.«
    »Ich bin Rose, und du bist Jack?«
    David schlug die Beine übereinander. »Ist dir aufgefallen, dass du dir immer die Hauptrollen gibst?«, fragte er.
    Theodor verschluckte sich am Rioja. »Ich finde nicht, dass Rose die Hauptrolle hat, Jack nimmt schließlich ein höchst dramatisches Ende, und …«
    »Und ist dir außerdem aufgefallen, dass du jeden Satz mit dem Wörtchen Ich begonnen hast?«, fuhr David fort.
    Theodor stand schnell auf. Davon wurde ihm schwindelig, und er musste sich an der Tischkante festhalten. »Warum willst du nicht bei mir wohnen?«
    »Ich brauche gewisse Freiheiten.«
    »Aber die hast du doch!«, rief Theodor. »Du bekommst zwei Zimmer, eins mit Seeblick und eins, das in den Hof hinausgeht. Und ich bringe dir jeden Morgen eine Tasse Kaffee ans Bett. Und dann gehe ich in die Praxis, und du gehst malen, und am Abend treffen wir uns wieder hier, und ich koch uns was Feines. Das wird fabelhaft.«
    »Genau das meine ich«, erwiderte David mit schmalen Lippen. »Wie Vati und Mutti.«
    Theodor sah ihn betroffen an. Dann begann er schweigend den Tisch abzuräumen.
    Sofort schämte sich David. »Ich wollte dich nicht kränken!«, rief er, denn Theodor war der wunderbarste, großzügigste Mensch, den es auf der ganzen Welt gab. Er spendete Geld für Haiti und Pakistan und für SOS -Kinderdörfer. Er kaufte das Obdachlosenblatt Motz immer gleich stapelweise. Er war es außerdem, der immer noch die Miete für Davids Atelier bezahlte, satte tausend Euro monatlich.
    »Theodor!«, rief David. Doch was hatte er zu sagen? Er war ja glücklich mit der Situation. Er wollte weiterhin mit Theodor zusammen sein, mit ihm durch die Antiquitätengeschäfte der Suarezstraße bummeln oder stundenlang an der Austernbar vom KaDeWe rumhängen. Und natürlich am Sonntagabend den Tatort bei ihm sehen. Und den Rest der Zeit wollte er ein Künstler sein, frei und ungebunden und ein wenig zügellos. Zwei Seelen rumorten in ihm. Teilpersönlichkeiten , hatte Theodor ihm einmal in einem anderen Zusammenhang erklärt. David mochte seine Teilpersönlichkeiten, den Spießer und den Bohemien, gleichermaßen gern.
    »Ich will ja gern mit dir hier wohnen!«, rief er.
    »Wirklich?« Theodors Augen leuchteten auf.
    »Aber nicht sofort.«
    »Worauf wartest du?«
    »Auf eine Eingebung.«
    »Das ist albern. Du willst mich nur hinhalten.«
    »Bedräng mich nicht«, sagte David und schloss kurz seine blauen Augen. »Respektiere meine
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