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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer
Autoren: Tanja Wekwerth
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erzähle dir lediglich hin und wieder etwas aus der Praxis, weil du zu hundert Prozent verschwiegen bist und weil …«
    »Gib es zu.«
    »Was denn?«
    »Dass ich dir im Laufe der Jahre viele wertvolle Tipps geben konnte und zahlreiche deiner Klienten …«
    »Ja, doch.«
    »Also, erzähl endlich. Ich schweige wie ein Grab.«
    Theodor fuhr sich durchs Haar. »Als kleines Mädchen beobachtete sie zusammen mit ihrem Vater die Mondlandung im Fernsehen. Aber sie verstand nicht, um was es ging.«
    »Hä? Ich kann nicht folgen.«
    »Ach, David, es ist eine erste Kindheitserinnerung, nicht mehr und nicht weniger. Man sollte das nicht aus dem Kontext herausreißen.«
    »Warum machst du es so kompliziert?«, unterbrach ihn David. »Erzähl weiter.«
    Theodor seufzte. »Als ihr Vater aus dem Fenster deutete, um ihr den Mond zu zeigen, sah sie nur den Funkturm dort stehen und fand ihren Vater albern in seiner Aufregung.«
    David nickte. »Penisneid.«
    »Unsinn. Ich wusste, dass du das sagen würdest.« Verärgert pustete Theodor in seinen Hagebuttentee.
    »Also, ich bitte dich.« David richtete sich ein wenig auf. »Das ist so durch und durch phallisch, dass es schon wehtut. Ihr Vater zeigt ihr den Mond, und alles, was sie sieht, ist der Lange Lulatsch.«
    Theodor schüttelte den Kopf. Er wollte jetzt gern eine Dusche nehmen, in seinem Schlafzimmer ein wenig meditieren und dann schlafen.
    »Der Mond ist weiblich«, sagte er und stand auf.
    » Der Mond? Haha.«
    »Du weißt schon, wie ich es meine.«
    »Umso mehr unterstreicht es meine Theorie«, unterbrach David, »der Vater will sie auf den Mond aufmerksam machen, und sie kapiert überhaupt nicht, um was es ihm geht.«
    »Sie war nicht mal drei Jahre alt«, sagte Theodor und stellte die Tasse auf den Couchtisch.
    »Das ist durch und durch freudianisch!«, rief David und schlug mit der flachen Hand aufs Sofa. Er schien richtig munter zu werden.
    »Ach, Freud«, entgegnete Theodor und gähnte. »Immer nur Sex, und überall im Leben nix als Penisse und Vaginen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist doch fürchterlich.«
    »Vaginen?« David prustete. »Ist das der richtige Plural? Warum nicht Vagini? Oder Vaginas?«
    »Du bist so unreif, David.«
    Gänzlich unbeeindruckt lachte David weiter vor sich hin. »Wenn deine Miss Television so nett ist«, sagte er und schaltete den Fernseher aus, »und ihr der Funkturm so viel bedeutet, dann lad sie doch mal zum Abendessen ein.«
    »Gute Nacht.« Theodor stand auf.
    »Du gehst schon schlafen?«
    »Ich bin hundemüde.«
    »Wir wollten doch über dich und deine Altersdepression reden.«
    »Verschon mich.«
    »Nein, ernsthaft, Theodor. Du hast mich im Atelier angerufen, weil du einen Klienten ausgelacht hast, und …«
    »Ich habe ihn nicht ausgelacht.«
    »Na ja. Du hast in seiner Gegenwart einen Lachkrampf gehabt.«
    »Ich will nicht darüber reden.«
    »Es würde dir guttun.«
    »Es ist nicht so wichtig.«
    »Komm schon.«
    »Gute Nacht.«
    »Theodor, du bist kompliziert.«
    »Wie sagtest du eben so hübsch? Bedräng mich nicht, und respektiere meine Entscheidung.«
    David verdrehte die Augen. »Dann eben nicht.«
    »Genau.«
    »Auch kein Hauch von Nerz mehr heute Nacht?«
    »Nein.«
    Theodor ging ins Bad und zog sich aus. »Es sind noch Grissini in der Küche!«, rief er durch die geschlossene Tür.
    Mit gefalteten Händen saß David auf dem Sofa. Grissini, dachte er, Grissini sind so Neunziger. Das, was Salzstangen in den Siebzigern waren. Was gab’s eigentlich in den Achtzigern? Übellaunig starrte er auf Theodors halbvolle Teetasse. Pringles!
    »Oh Mann«, murmelte er leise.
    Dann hörte er Wasser rauschen. Schnell stand er auf, blies die Kerzen auf dem Esstisch aus und trug die dunkelbraune Lammschulter, in der noch immer die Fleischgabel steckte, in die Küche. Dann rief er durch die geschlossene Badezimmertür: »Ich geh noch mal ins Atelier!«
    »Machst du Witze?«, schrie Theodor, auf dessen Kopf lauwarmes Wasser lief. Er erhielt keine Antwort mehr. Als er in einem weißen Frotteemorgenrock aus dem Bad geeilt kam, wäre er mit seinen nassen Füßen beinahe ausgerutscht. David war fort.
    Theodor starrte auf die Wohnungstür. Irgendetwas in seinem Leben ging gerade fürchterlich schief. Er wusste bloß nicht genau, was, und all seine verdammte Lebens- und Berufserfahrung half ihm nicht weiter.
    Es fühlte sich an, wie einen Abendspaziergang an Deck eines luxuriösen Dampfers zu machen, einen klaren Sternenhimmel zu
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