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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer
Autoren: Tanja Wekwerth
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nachts geweint, weil sie der Meinung war, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie hätte sich einsam fühlen und Angst davor haben müssen, eines Tages als »unfruchtbarer Strunk« zu enden. So hatte sie tatsächlich eine Freundin (die dann schnell keine mehr war) genannt.
    Als Frau ist man doch erst vollwertig, wenn man Mutter geworden ist, wurde ihr gesagt. Aber Natalie empfand es nicht als dramatisch, keine Mutterfreuden zu erleben. Sie bekam auch so ausreichend davon mit, verschenkte hier eine Rassel, dort ein Bobbycar, wurde zu Tauffeiern eingeladen und babysittete hin und wieder. Sie war zu einer Art wunderlicher Tante geworden, der man bedauernd auf den Rücken klopfte, wie einem alten Kutschgaul.
    Doch auch das ging vorüber. Irgendwann schoben die Freundinnen von damals keine Buggys mehr vor sich her, sie regten sich nicht mehr über Zigarettenqualm auf, faselten nicht mehr von PEK i P -Gruppen und Waldorfpädagogik. Aus den Babys und Kleinkindern von damals waren pubertierende Nervensägen geworden. Niemand verbrachte seine Nachmittage mehr bei »Jack’s Fun World«, und keiner klopfte Natalie mehr auf den Rücken.
    Ich könnte ein Glas Wein vertragen, sagte sie sich. Ein schönes Glas Rotwein.
    In der Küche entkorkte sie eine Flasche Cabernet Sauvignon, schenkte sich ein und nahm einen großen Schluck. Zum Teufel mit den Kolumnen, dachte sie plötzlich. Wie ich es hasse, diesen Blödsinn zu produzieren.
    Natalie trank das Glas leer und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Werde ich bis an mein Lebensende Schwachsinn schreiben und mich mit dem immer stärker werdenden Gefühl herumschlagen müssen, die ganze Zeit am Wesentlichen vorbeigezielt zu haben? Und ich meine nicht das Heiraten und Kinderkriegen.
    Natalie war schwindelig geworden. Sie trank ein weiteres Glas Wein, genauso schnell wie das erste, und registrierte erleichtert, dass noch mehr Schwindel sie erfasste. Dann ging sie ins Bad, schminkte sich ab, putzte sich die Zähne, wusch sich Gesicht und Hände und wankte ins Schlafzimmer. Ich bin sogar zu diszipliniert, um einfach mal ungewaschen ins Bett zu gehen, dachte sie, trat vor Wut in die Luft und stieß sich dabei den kleinen Zeh am Bettpfosten. »Auaaaa!«, schrie sie, und dann weinte sie ein bisschen, weil der Schmerz unerträglich war.
    Ob sie sich den Zeh gebrochen hatte?
    Sie sank in einen unruhigen Schlaf, träumte kurz und unsinnig. Immer wieder schreckte sie auf. Ihr Zeh pochte und schien zu glühen, dazu hatte sich ein unangenehmer Druck auf die Blase gesellt. Natalie humpelte schniefend zur Toilette, ließ sich auf die Brille fallen und begutachtete beim Pinkeln ihren Fuß. Der kleine Zeh war dunkelviolett angelaufen und sah aus wie ein Cocktailwürstchen. Beim Aufstehen traute sich Natalie nicht, ihren verletzten Fuß zu belasten, sie kam nicht richtig auf die Beine, schwankte, ruderte heftig mit den Armen. Ob sie nicht doch ein wenig betrunken war? Unerwartet schnell fiel sie nach hinten und landete mit dem blanken Hintern in dem antiken Schälchen voller Rosen-Potpourri, das neben der Toilette stand. Es gab ein klirrendes Geräusch. Ob die Scherben …? Entsetzt schnappte Natalie nach Luft, wartete auf den stechenden Schmerz im Genitalbereich, der sich jeden Moment einstellen würde. Doch nichts geschah. Trotzdem begann sie laut zu weinen, vor Schreck, und weil das Schälchen zerbrochen war, und weil ihr getrocknete Rosenknospen am Hintern klebten. Allzu bildhaft erschien ihr die Botschaft, die irgendein Scherzkeks von Schicksalsengel oder Universums-Beauftragter geschickt hatte.
    »Sehr, sehr witzig«, murmelte Natalie unter Tränen und krabbelte auf allen vieren aus dem Badezimmer, und plötzlich musste sie lachen. Nicht auszudenken, wenn jemand sie so sehen könnte. Meine Damen und Herren, lassen Sie sich weitere Buchtipps geben, von Natalie Schilling, der Frau, die in der Nacht gerne mal neben der Toilette sitzt und sich nicht allein in den Keller traut.
    Und dann musste sie wieder weinen.
    ▶◀
    »Zur Ruhe kommen«, sagte sie einige Tage später zu Theodor in der Praxis, »bezeichnet man es ab vierzig nicht so? Und meint damit eigentlich ›seine Träume beerdigen‹?«
    »Würden Sie es so formulieren?«
    »Ja.«
    »Welche Träume haben Sie beerdigt?«
    »Wenn ich überhaupt welche hätte.«
    »Jeder Mensch hat Träume.«
    »Ach.« Natalie machte eine wegwerfende Handbewegung und bemerkte zu ihrer Bestürzung, dass ihre Augen feucht wurden. »Ich weiß nur, dass
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