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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer
Autoren: Tanja Wekwerth
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Heizrohr geknurrt. Vielleicht eine Ratte?
    Natalie fragte sich, was schlimmer gewesen wäre: ein knurrender Zwerg, ausgestattet mit einer Kettensäge, oder eine mutierte Riesenratte mit leuchtenden Augen und vermutlich spitzen Zähnen. Dann fiel ihr ein, dass die Kettensäge des Zwergs ja eine Zwergenkettensäge hätte sein müssen oder zumindest eine Spezialanfertigung aus dem Nebelgebirge im Norden Mittelerdes, und sie lachte kurz auf. Aber dann machte sie sich ernsthafte Sorgen um ihren Geisteszustand. Sie war ja total verrückt.
    Natalie beschloss, etwas zu unternehmen. Nach einigen teuer bezahlten Sitzungen »Seelenvolle Rückführung in verdrängte Vorleben« bei einem immerzu tumb lächelnden Heilpraktiker, der beim Ausstreichen ihrer löchrigen Aura ab und zu ihre Brüste berührte, hatte sie die Entscheidung getroffen, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Das kam ihr irgendwie weltlicher vor. Und so war sie hier gelandet.
    Ein attraktiver, hochgewachsener Mann war er, dieser Theodor Silberstadt. Mitte fünfzig, schätzte Natalie, aber sie war sich nicht sicher. Gepflegt, sympathisch, elegant, mit dunkelbraunen Augen und fein geschwungenen Lippen. Er hatte sein erstaunlich dichtes, dunkles Haar mit glänzendem Gel nach hinten gekämmt, was an die Frisuren der Dreißigerjahre-Filmstars erinnerte. Seine Hände gefielen Natalie besonders gut: schmal und blass und blau geädert, irgendwie aristokratisch. Am linken Mittelfinger trug er einen Silberring mit einer antiken Münze. Manchmal setzte er sich eine Hornbrille auf seine lange, leicht gekrümmte Nase, was ihm das Aussehen eines konzentrierten Vogels gab, vor allem wenn er seinen Kopf beim Zuhören nach links neigte.
    Natalie war erst dreimal hier gewesen. Bis jetzt schien Theodor Silberstadt seinen hohen Stundensatz ausschließlich dafür zu nehmen, dass er ihr aus dem Mantel half, mit seiner langen Hand auf ein rotes Sofa deutete und eine Schachtel Kleenex zurechtrückte. Ab und zu machte er »Hm« oder stellte eine kurze Zwischenfrage. Mehr nicht.
    Dass das Sofa ausgerechnet rot sein musste, war ein so himmelschreiendes Klischee, dass es Natalie körperlich wehtat. Sie verspürte jedes Mal ein dumpfes Ziehen im Unterleib, wenn sie sich dem burgunderfarbenen Samt näherte. Die rote Couch. Du liebe Güte. Das konnte nicht wahr sein. Aber vielleicht war es ein Zeichen? Natalie suchte immer nach Zeichen, die ihren Lebenskurs korrigieren und in die richtige Richtung weisen sollten. Die rote Couch von Irvin Yalom! Ein toller Roman war das gewesen, den sie in ihrer Büchershow zu gern vorgestellt hätte. Ja – Natalie straffte die Schultern –, sie hatte eine eigene TV -Show, die sie einmal in der Woche moderierte. Kein bedeutender Sender und auch nicht um 20 Uhr 15, aber immerhin.
    Genau genommen war es eigentlich nicht ihre Show. Sie hatte lediglich den Bücherblock von zehn Minuten Länge zu bestreiten. In dieser Zeit musste sie fünf Neuerscheinungen vorstellen und positiv bewerten. »Darf ich auch mal etwas Negatives sagen?«, hatte sie neulich gefragt, denn sie war es leid, Vampirromane und kiloschwere Historienschmöker anzupreisen, in denen es immer wieder um verworrene Huren- oder Hebammenschicksale im Mittelalter ging. Nein, nein, war ihr von der Programmleitung geantwortet worden, die Büchershow verstünde sich als eine Sendung, die den Zuschauern Lektüre ans Herz legen wollte. Man hielte sich da ganz an Heidenreichs Standpunkt und werde den Zuschauern nicht die Zeit mit Verrissen stehlen.
    So hätte sie es ja gar nicht gemeint, hatte Natalie widersprochen, sie würde Bücher grundsätzlich lieben, fände aber, dass es glaubwürdiger wäre …
    Mittelfristig sei geplant, die ganz großen Verlagshäuser als Sponsoren zu gewinnen, war sie unterbrochen worden, und das könne nur gelingen, wenn Bücher beworben und nicht negativ beurteilt würden. Basta. Natalie hatte genickt und sich gedacht, dass Frau Heidenreich bei dieser Bücherauswahl sowieso die dünnen Haare zu Berge stehen würden.
    Aber was konnte sie schon ausrichten? Sie durfte sich die Bücher, die sie vorzustellen hatte, ja nicht mal aussuchen. Meistens hatte sie sie gar nicht gelesen. Wer konnte schon fünf Bücher in einer Woche bewältigen und nebenher noch Kolumnen für Zeitschriften schreiben? Oft googelte sie einfach die Titel und druckte sich ein paar Rezensionen aus, die sie kurz vor ihrem Auftritt noch mal durchlas. »Ein gaaanz außergewöhnlicher Roman …«, rief sie dann mit
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