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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer
Autoren: Tanja Wekwerth
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ich …«
    Theodor hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Warum sagt der immer Matülde ? , fragte er sich. Dann riss er sich zusammen und gab seinem Gesicht einen konzentrierten Ausdruck.
    »Ist ja auch glaubwürdig«, sagte Schleyberger gerade, »ich meine, jedem kann mal ein Aquarium explodieren, dafür kann man ja nichts. Und dass man dann nicht alles am Boden rumzappeln lässt, sondern erst mal aufräumt, ist ja vollkommen in Ordnung. Aber, ich sag mal so, ich denke, dass …«
    Cogito, ergo sum , dachte Theodor, und so etwas wie Verzweiflung überkam ihn. »Herr Schleyberger« unterbrach er seinen Klienten, »Herr Schleyberger« eine kurze Zwischenfrage: Wenn Ihr Leben eine Brücke darstellte, wo auf ihr würden Sie gerade stehen?« Mit beiden Händen knetete Theodor seine Ohrmuscheln.
    »Auf der Brücke?«
    »Ja. Auf der Brücke.«
    »Na ja. Ich weiß nicht. Führt sie über Wasser, diese Brücke? Oder ist es eine Autobahnbrücke?«
    »Das ist gleichgültig.« Theodors Ohren glühten.
    »Mir ist es nicht gleichgültig.«
    »Herr Schleyberger, es geht doch um das Bild , verstehen Sie? Es geht um den symbolischen Wert der Brücke.«
    »Die Brücke soll also mein Leben darstellen?«
    »Ja. Genau.«
    »Ist es eine Hängebrücke oder eine Bogenbrücke?«
    »Wo stehen Sie auf der Brücke?«
    »Um darauf zu antworten, muss ich wissen, um was für eine Brückenart es sich handelt«, erwiderte Heinz Schleyberger, und ein belustigtes Lächeln umspielte seine Lippen. Er fand sich originell, das konnte man ihm ansehen. Die feisten Hände auf dem Bauch gefaltet, die Daumen in rasantem Tempo umeinander kreisend, wartete er gespannt darauf, was Theodor erwidern würde.
    »Es geht Ihnen gar nicht darum, meine Frage zu beantworten, nicht wahr, Herr Schlauberger?« Theodor hatte seinen Platz am Schreibtisch verlassen, stand nun am Fenster und zerrte am Griff. Luft, er brauchte Luft. Gleich würde er ersticken. »Es geht Ihnen ausschließlich darum, Ihre Mitmenschen davon zu überzeugen, dass sie Sie genauso großartig finden wie Sie sich selbst. Und da wundern Sie sich, dass es niemand mit Ihnen aushält? Ich sag Ihnen was: Aquarien explodieren nicht einfach so, und auch mit Matülde wird es nichts werden, weil Sie ein selbstsüchtiger, adipöser Langweiler sind. Wollen Sie einen Rat? Nein, den wollen Sie gewiss nicht, aber ich gebe Ihnen trotzdem einen: Gehen Sie zu den Weight Watchers, melden Sie sich in einem Fitnessclub an, und halten Sie einfach öfter mal den Mund. Sie sind lange nicht so toll, wie Sie glauben. Sie sind …«
    Mit einem knirschenden Ruck sprang das Fenster auf, Vögel sangen, als stünden sie unter Drogen. Theodor verstummte und lehnte sich weit hinaus. Das konnte nicht wahr sein, dass er all das eben tatsächlich gesagt hatte.
    Hinter sich, auf dem roten Sofa, hörte er Schleyberger keuchen. »Na, hören Sie mal …«
    »Ich … äh …«, stammelte Theodor. Er war ja vollkommen wortinkontinent, er brauchte dringend Urlaub. Zu seinem Entsetzen fühlte er ein hysterisches Kichern, das sich durch seine Luftröhre nach oben zu schieben schien und gleich seinen Mund ausfüllen würde. »Hiimpf«, machte Theodor erstickt und krümmte sich.
    »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, Herr Silberstadt«, sagte Schleyberger irritiert. »Sie benehmen sich heute so sonderbar. Ist das vielleicht Teil einer Therapie oder so was?«
    Theodor prustete laut heraus, dann riss er sich zusammen. »Ja«, antwortete er mit bebender Stimme und ballte die Hände zu Fäusten. »So ist es. Ein ganz neuer Therapieansatz aus den Vereinigten Staaten. Einem spontanen Negativ-Wortschwall folgt eine positive Reaktion, oft in Form eines kleinen Heiterkeitsausbruchs.« Theodor brachte ein schiefes Grinsen zustande, nicht mehr als ein wackliger Damm, gegen den sich eine mächtige Lachanfall-Flut drückte. »So wird die Si-hi-hi-tuation überwunden und relativi-hi-hiert. Eine neue Ebene entsteht, über die dann eine Hängebrücke führen kann, verstehen Sie?«
    »Klar.« Heinz Schleyberger begann dröhnend zu lachen. »Und ich dachte zuerst, Sie meinen es ernst!«
    »Lassen Sie uns …«, Theodor rieb sich über sein linkes, zuckendes Auge, »für heute aufhören. Man muss mit neuen Therapien vorsichtig sein. Das war ein bisschen viel auf einmal.«
    »In Ordnung. Dann zahl ich aber auch nur die Hälfte.«
    »Sie brauchen heute überhaupt nicht zu bezahlen.«
    »Ist ja toll.«
    »Auf Wiedersehen.«
    An der Tür drehte sich Schleyberger
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