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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer
Autoren: Tanja Wekwerth
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einfach nicht entschließen, ihn auszumerzen, irgendwie scheint er eine Daseinsberechtigung zu haben.«
    »Deine Sorgen und Rockefellers Geld möchte ich haben.« Wie ein Dirigent fuchtelte Theodor mit dem Grissino herum.
    »Was ist denn das für eine blöde Formulierung?«, rief David, der sich ungerecht behandelt fühlte. »Und Geld hast du wohl genug.«
    »Ach!« Das Grissino brach entzwei. »Darum geht es dir nur noch?«
    »Hör schon auf! Warum machst du so einen Aufstand?«
    »Du bist zu spät.«
    »Dürfte ich trotzdem reinkommen? Ich mag nicht schon im Hausflur mit dir herumstreiten.« David lächelte versöhnlich und küsste Theodor flüchtig auf den Mund. Dann ging er an ihm vorbei, über den Flur ins Wohnzimmer, warf sich aufs Sofa und starrte durch die gegenüberliegenden Fenster. Der Himmel war voller Abendglanz. Im Wasser des Sees spiegelten sich die ersten Lichter der umstehenden Häuser, und auch der Funkturm begann zu glitzern.
    »Schön«, murmelte David.
    »Wenn es dir doch so gut gefällt, warum ziehst du dann nicht endlich zu mir?«, erwiderte Theodor, der die Wohnungstür geräuschvoll geschlossen hatte und David gefolgt war. »Dein Atelier in Mitte kannst du ja zum Arbeiten behalten, aber wohnen tust du hier.« Ihm fiel selbst auf, wie nörgelig seine Stimme klang.
    »Bitte nicht schon wieder dieses Thema.«
    »Wir sind jetzt seit fünfundzwanzig Jahren zusammen«, sagte Theodor, der im Türrahmen lehnte. »Findest du nicht, wir haben die Probezeit bestanden?«
    David antwortete nicht. Er schien gar nicht zuzuhören und zeigte Theodor sein kantiges Profil.
    Theodor seufzte. Dann hob er die Nase und schnupperte. Mit einem Aufschrei eilte er in die Küche, wo einige Zweiglein Rosmarin auf einer verschmorten Lammschulter Feuer gefangen hatten. Während Theodor fluchend die Ofentür aufriss und sich an dem Schwall austretender heißer Luft die Nasenspitze versengte, war David aufgestanden. Er entzündete die Kerzen, die in zwei antiken silbernen Haltern auf dem bereits gedeckten Esstisch standen.
    »Kann ich helfen?«, rief er. Doch wüstes Topfgeklapper hielt ihn davon ab, seine Frage zu wiederholen. Stattdessen legte er eine CD ein. »Chanson, juste pour toi, chanson un peu triste, je crois …« , sang eine melancholische Frauenstimme. David stellte sich ans Fenster und schaute wieder hinaus.
    Mit beleidigter Miene trug Theodor das Abendessen herein. Sein Gesicht war rötlich verfärbt.
    » C’est une chanson d’amour fané, comme celle que tu fredonnais. «
    »Ah, diese dumme Kuh«, sagte Theodor.
    »Ich dachte, du magst Carla.«
    »Seitdem sie mit diesem französischen Zwerg verheiratet ist und tantige Kostüme trägt, finde ich sie albern.«
    »Soll ich ausmachen?«
    »Ist jetzt sowieso egal.« Theodor rieb sich die schmerzende Nasenspitze. »Wenn du willst, bedien dich an staubtrockenem Lammfleisch, pampigen Zucchini und steinhartem Baguette. Die Crevetten habe ich schon weggeschmissen.«
    David sah ihn an. »Du machst diesen ganzen Aufstand für eine kleine Verspätung?«
    »Ich will, dass wir zusammenleben.«
    »Soll das eine Drohung sein?«
    »Ja.«
    David lachte. Dann bohrte er die Fleischgabel in den Lammbraten und bekam sie nicht wieder heraus.
    »Und wenn ich nicht will?«
    Theodor entkorkte eine weitere Flasche Rotwein, goss ein, reichte David ein Glas quer über den Tisch und trank selbst einen großen Schluck. »Wenn es nicht klappt, dann ziehst du eben wieder aus«, sagte er mit etwas schwerer Zunge. »Was haben wir schon zu verlieren?«
    David zögerte. Einiges, dachte er. Er und Theodor hatten sich am 2. Mai 1985 kennengelernt. Dieser Moment war so lange her, dass er aus einem Vorleben zu stammen schien, so etwas wie eine karmische Erinnerung sein musste.
    1985 war David achtzehn Jahre alt und Flugbegleiter bei der PanAm gewesen. Die Berliner Mauer hatte noch gestanden. Beides war heutzutage unvorstellbar.
    1985 war das Wrack der Titanic entdeckt worden.
    1985 hatte David noch ziemlich viele blonde Locken auf dem Kopf gehabt und ausgesehen wie die fleischgewordene David-Statue von Michelangelo.
    Vieles hatte sich seitdem verändert, nur er und Theodor waren noch immer zusammen. Ein Grund für so viel Dauerhaftigkeit war in Davids Augen gerade die Tatsache, dass sie sich nie eine Wohnung geteilt hatten.
    Nach dem Fall der Mauer hatte Lufthansa die Flugrechte von PanAm übernommen, David war auf Langstrecke gegangen, und dann, Mitte der Neunzigerjahre, hatte er Krampfadern und
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