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Ein Herzschlag bis zum Tod

Ein Herzschlag bis zum Tod

Titel: Ein Herzschlag bis zum Tod
Autoren: Sara J. Henry
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Kopf ins Zimmer. »Ist Zach da?«
    »Nee«, antwortete Dave, ohne aufzublicken. Er war ein ruhiger Typ, ein Kajakfahrer, der in einem Sportgeschäft arbeitete. Zach, der von allen am längsten bei mir wohnte, hatte den Schlüssel zum Gästezimmer. Ich bedeutete dem Jungen, er solle sich auf die unterste Treppenstufe setzen, und ging in Zachs Zimmer. Der Schlüssel hing an einem Nagel in der Rückwand seines Kleiderschranks.
    Auf dem Weg nach unten stützte ich mich auf das Treppengeländer, ergriff dann die Hand des Jungen und führte ihn durch die Küche und über die schmale Treppe hinauf in meine Wohnung. Das vordere Zimmer benutze ich als Büro, dahinter liegt mein Schlafzimmer, links das winzige Bad. Meine eigene kleine Suite.
    Seine Finger waren kalt, und auch ich kühlte rasch aus, seit ich nicht mehr im geheizten Auto saß. Mein nasser Pferdeschwanz |25| und meine Unterwäsche hatten das Sweatshirt durchnässt.
    »Jetzt wäre wohl ein warmes Bad angebracht«, sagte ich. Mir fiel das französische Wort für Bad nicht mehr ein, und der Junge schaute mich verständnislos an. Ich führte ihn ins Badezimmer, drehte die Wasserhähne auf und spritzte Shampoo in die Wanne, um Schaum zu machen. Ohne zu zögern warf er die Jacke auf den Boden und streckte mir die Arme entgegen, damit ich ihm das T-Shirt ausziehen konnte. Es schien eine vertraute Bewegung zu sein, so als würde Vater oder Mutter jeden Abend zu ihm sagen:
Zeit zum Baden.
Wir kämpften mit seiner nassen Jeans. Schließlich setzte er sich auf den Boden, und wir zogen gemeinsam daran. Ich hätte ihn in Unterwäsche baden lassen, weil ich ein fremdes Kind niemals aufgefordert hätte, sich vor mir auszuziehen. Auch war es denkbar, dass er missbraucht worden war. Doch er zog ganz selbstverständlich die Unterhose aus und stützte sich auf meine Hand, als er in die Badewanne stieg. Das alles schien ganz normal zu sein.
    Sein Körper war dünn, aber unversehrt. Ich gab ihm einen Waschlappen mit Seife, und er wusch sich die Arme. Ich wusste nicht, ob er sich allein die Haare waschen konnte, also gab ich etwas Shampoo auf meine Hand und massierte es behutsam ein. Er legte den Kopf in den Nacken, als ich den Schaum abspülte, wobei das Wasser über meine Arme lief und mein Sweatshirt vollkommen durchnässte. Plötzlich zitterte ich vor Kälte.
    »Kann ich dich fünf Minuten allein lassen?
Cinq minutes? Je vais aller   … dans l’autre   … salle de bains.
« Ich zeigte nach unten und tat, als würde ich duschen. Er nickte. Ich ließ noch mehr heißes Wasser ein, schnappte mir ein Handtuch und saubere Kleidung und lehnte die Tür an.
    Vorsichtig stieg ich die Treppe hinunter, da sie von jemandem gebaut worden war, der das Verhältnis von Tritt und Steigung nicht kapiert hatte. Die Stufen sind so steil und schmal, |26| dass man kaum den Fuß aufsetzen kann. Einmal war ich ausgerutscht und hatte die letzten Stufen schmerzhaft auf dem Steißbein zurückgelegt. Seitdem halte ich mich gut fest.
    Der Pizzageruch aus dem Wohnzimmer war verlockend. Wenn es jemals einen Tag gegeben hatte, an dem eine Pizza angebracht war, dann dieser. Ich rief bei Mr.   Mike’s gegenüber an, dessen Speisekarte im Flur an die Wand gepinnt war. Die Jungs im Wohnzimmer konzentrierten sich auf Vanna White, die bei
Glücksrad
gerade einen Begriff buchstabierte, der mir selbst in meinem mitgenommenen Zustand offensichtlich erschien. »Dave, könntest du in zehn Minuten meine Pizza bei Mr.   Mike’s abholen? Ich lege das Geld unters Telefon. Was ich nicht schaffe, kannst du später haben.«
    »Klar doch«, sagte er, ohne aufzusehen.
    Für sportliche männliche Mitbewohner ist »Essensreste« ein Fremdwort. Manchmal rieche ich es mitten in der Nacht. Spähe ich durch den Lüftungsschlitz im Boden, entdecke ich einen der Jungs, der nicht bis zum Morgen warten kann und sich gerade Nudeln kocht. Ich wusch mir energisch die Haare, um alle Spuren des Seewassers zu entfernen, und schäumte sie dann noch einmal ein. Ich zog mich an, ohne mir die Haare auszukämmen, und lief schnell nach oben.
    »Alles in Ordnung?«, rief ich leise, als ich mich dem Badezimmer näherte. »
Comment ça va

    Er lag ausgestreckt da, den Kopf ans abgeschrägte Ende der alten Wanne gelehnt, die dünnen Gliedmaßen im Wasser schwach zu erkennen. Er sah aus wie in dem Moment, als ich ihn im See gefunden hatte, die Augen geschlossen, eher tot als lebendig. Er schreckte auf, doch als er mich sah, verschwand seine Angst.
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