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Ein Herzschlag bis zum Tod

Ein Herzschlag bis zum Tod

Titel: Ein Herzschlag bis zum Tod
Autoren: Sara J. Henry
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Erschöpfung an. »Es tut mir wirklich leid, aber mir ist etwas dazwischengekommen. Ich schaffe es nicht.«
    Kurzes Schweigen, dann sagte er mit ruhiger Stimme: »Okay.« Es ärgerte mich, dass er so gelassen reagierte – es ist nicht immer einfach, mit jemandem auszugehen, der so wahnsinnig verständnisvoll ist.
    »Ich kann das auf die Schnelle nicht erklären«, fuhr ich fort. »Ich rufe dich heute Abend an.«
    Erneute Pause. »Alles in Ordnung bei dir?«
    »Ja, alles bestens.« Ich versuchte, überzeugend zu klingen. Ich sah Thomas im Geiste auf dem Sofa sitzen, das rötlich blonde Haar ordentlich gekämmt, mit gebügelter Khakihose und adrettem Hemd – wie einem Katalog von Lands’ End entstiegen. Dass ich von der Fähre gesprungen war, wollte ich ihm lieber nicht erklären, weder jetzt noch sonst irgendwann. »Ich melde mich«, sagte ich und beendete das Gespräch.
    Ich schaute den Jungen an. »Männer!« Er lächelte schwach, was mir einen Stich versetzte.
    Wir näherten uns Keeseville, wo ich nach Süden in Richtung Elizabethtown abbiegen konnte. Ich spielte mit dem Gedanken, zur Polizei zu fahren, ganz ehrlich. Doch dann stellte ich mir vor, wie wir in unseren zusammengewürfelten Klamotten, feucht und zerzaust, in die Polizeiwache stapften und erklärten, dass jemand diesen Jungen hatte ertränken wollen. Dann würden sie ihn mitnehmen, und ich würde nie erfahren, wohin man ihn gebracht hatte und was aus ihm geworden war.
    Ich durfte nicht zulassen, dass man ihn zu den Leuten zurückschickte, die ihn wie ein ungewolltes Kätzchen von der Fähre geworfen hatten. Ich war keine neunzehn mehr.
    Was ich mir jedoch nicht eingestehen wollte, war die Tatsache, dass ich diesen Jungen schon als mein Kind betrachtete. Ich hatte ihn gefunden, ich hatte ihn gerettet. Ich würde ihn keinem Fremden überlassen.
    Also fuhr ich an der Abzweigung vorbei nach Hause.

|23| 4
    Ich parkte vor dem Haus. Der Junge hatte während der siebzig Kilometer weiten Fahrt ruhig dagesessen. Zwischendurch hatte ich in einem kleinen Laden heißen Kakao gekauft. Er umklammerte den Becher mit beiden Händen und trank in winzigen Schlucken. Keiner von uns hatte etwas gesagt.
    »Wir sind da.« Ich deutete auf das Haus. »
Ça, c’est ma maison
.« Hier hatte ich ein Zimmer gemietet, als ich nach Lake Placid gekommen war. Als mein Vermieter, ein Eisschnellläufer, wegzog, kaufte ich das Mobiliar und übernahm das Haus. Ich vermiete die freien Zimmer an Sportler, die in der Stadt trainieren, und an Leute, die wegen der Seen, Berge und Skipisten herkommen. Manche bleiben ein paar Monate, andere ein ganzes Jahr oder länger. Wir teilen uns Wohnzimmer und Küche, und jeder muss selbst spülen. Tut er das nicht, packe ich das Geschirr in eine Papiertüte und stelle sie vor seine Zimmertür. Sie kapieren es meist ganz schnell.
    Meine Familie würde dieses Haus als Bruchbude bezeichnen, aber mir gefällt es. Meine Jungs leisten mir jederzeit beim Radfahren, Laufen oder Tanzen Gesellschaft. Wenn ich meine Ruhe haben will, kann ich in meine Wohnung flüchten.
    Diesen Teil meines Lebens findet Thomas ausgesprochen beunruhigend, ist aber zu höflich, um es zu erwähnen. Er ist ein zurückhaltender Mensch und verschweigt lieber, dass ihm meine athletischen männlichen Mitbewohner nicht ganz geheuer sind. Ich selbst bin zu stur, um ihm zu verraten, dass ich der eisernen Regel folge, keine Romanzen innerhalb des Hauses |24| zu beginnen. Gut, einmal war ich in Versuchung, gegen diese Regel zu verstoßen, aber das ist eine andere Geschichte.
    Ich ging um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. Dann löste ich den Sicherheitsgurt und befreite den Jungen von Schlafsack und Handtuch. Er sah auf den Boden und dann zu mir, als wollte er wissen, ob er auf Socken laufen durfte. Ich nickte. Er reichte mir seine kleine Hand und stieg in den viel zu großen Wollsocken vorsichtig die Stufen zur Haustür hinauf.
    Sie war wie üblich nicht abgeschlossen. Ich hatte es aufgegeben, den Jungs beizubringen, dass man abschließt. Außerdem vergaßen sie viel zu oft ihre Schlüssel, wenn sie Laufen oder Radfahren gingen, und kletterten dann vom Heizöltank aus durchs Fenster. An den Schlafzimmertüren hatte ich Schlösser angebracht, war aber so ziemlich die Einzige, die sie tatsächlich benutzte.
    Zwei Jungs schauten fern und aßen Pizza aus einer Schachtel, die auf dem verschrammten Couchtisch stand. Bei dem Geruch lief mir das Wasser im Mund zusammen.
    Ich steckte den
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