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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse
Autoren: Ann Granger
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Besonderheiten bezüglich des Zimmers, in dem der Tote gefunden wurde?« Ich wartete nervös auf seine Antwort.
    »Ein kleines Wohnzimmer, eine Art Salon oder Raucherzimmer vielleicht?«, erwiderte Harper. »An was genau haben Sie gedacht?«, fragte er, als er sah, dass diese vage Antwort nicht reichte.
    »Nichts weiter, Doktor? Irgendetwas Ungewöhnliches …?«, drängte ich. Ich durfte ihn nicht mit der Nase darauf stoßen, doch wenn er sich nicht erinnerte, war ich erledigt.
    Harper runzelte angestrengt die Stirn. »Warten Sie. Der Raum war einfach möbliert … zwei Sessel, ein Bücherregal … kein Feuer im Kamin.« Er bemerkte meinen erleichterten Gesichtsausdruck. »Oh, darauf wollen Sie also hinaus? Der Raum war sehr kalt. Eisig. Ja, das ist mir aufgefallen.«
    »Es war sehr kalt. Der Tote hätte ein Feuer machen können, wenn er gewollt hätte. Aber er hatte den Kamin seit Wochen nicht mehr benutzt. Er sagte, dass es ihm nichts ausmachte. Sowohl seine Vermieterin als auch ihre Dienstmagd haben das ausgesagt. Dr. Harper, ich habe gelesen – oder gehört – dass das Einsetzen der Totenstarre sich verzögern kann, wenn der Leichnam einer soeben getöteten Person sehr kalt gelagert wird, ist das richtig?«
    »Dann ist es also der Zeitpunkt des Todes, der Ihnen keine Ruhe lässt, nicht die Ursache?« Harper deutete zur Tür. »Gehen wir nach draußen, Ross. Ich hätte jetzt Lust auf eine Pfeife Tabak.«
    Wir verließen das Gebäude und standen in der kalten Brise, die über das Wasser heranwehte. Über uns zogen Möwen ihre Kreise und stießen ihr unmelodisches Geschrei aus. Draußen auf dem Fluss ertönte das warnende Horn eines Dampfers. Harper ließ sich Zeit mit dem Füllen und Stopfen der Pfeife. Anschließend musste er das Ding in Gang bringen, und erst danach, nachdem er ein paar tiefe Züge gemacht hatte, nahm er sie am Kolben aus dem Mund und deutete mit dem Stiel auf mich.
    »Wenn ein Leichnam sehr schnell abgekühlt oder bei sehr niedriger Temperatur gelagert wird, ist es durchaus möglich, dass die Leichenstarre später einsetzt. Aber bedenken Sie, sobald die umgebende Temperatur wieder steigt, geht der Prozess nicht nur einfach weiter, sondern er beschleunigt sich noch. Derartige Dinge sind äußerst schwer einzuschätzen, Ross. Oftmals ist es einfacher für mich, die Todesursache festzustellen als den genauen Zeitpunkt.«
    »Ich welchem Zustand war der Leichnam, als er zu Ihnen kam?«, fragte ich.
    »Er wurde gerade hübsch steif. Ich nehme an, Sie möchten, dass ich noch einmal über den Todeszeitpunkt nachdenke?«
    »Genau das, Doktor. Bitte, ich möchte Ihre Kompetenz nicht in Zweifel ziehen, aber es war bereits sehr spät am fraglichen Abend, und ich habe Sie vom Essen weggerufen …«
    »Und ich habe es möglicherweise eilig gehabt, wieder an den Tisch zu kommen, meinen Sie? Ich habe oberflächlich geurteilt, anstatt mir den Toten genau anzusehen und ein wenig gründlicher nachzudenken?«
    »Glauben Sie mir, Doktor …«
    Er winkte erneut mit dem Pfeifenstil. »Wissen Sie was? Es wäre durchaus möglich. Aber bedeutet das auch, dass ich im Nachhinein betrachtet bereit bin, meine Meinung zu ändern?«
    »Sind Sie?« Ich saß auf glühenden Kohlen.
    Ich bin sicher, es steckte Absicht dahinter, als er ein paar Tabakswolken in meine Richtung qualmte, bevor er antwortete. »Es ist wichtig für Sie, wie?«
    »Doktor, es ist sehr wichtig!«
    »Nun denn, Inspector, ich will es folgendermaßen ausdrücken. Ich wiederhole, es ist nicht immer einfach, den Todeszeitpunkt zu bestimmen, und nur selten ganz exakt, insbesondere, wenn man wie in diesem Fall keine anderen Hinweise hat als den Leichnam selbst. Ich glaube, ich habe als frühestmöglichen Todeszeitpunkt fünf Uhr an jenem Nachmittag genannt, ist das richtig?«
    »Das ist richtig, Sir.«
    »Ich könnte mich querstellen, wenn ich störrisch wäre, und bei dem bleiben, was ich in meinem Bericht geschrieben habe.« Ein neuerliches Winken mit dem Pfeifenstiel.
    »Das könnten Sie, Doktor, und ich würde es Ihnen nicht vorwerfen.«
    »Ach nein? Ich persönlich hoffe, stets offen genug zu sein, meine Beurteilung zu revidieren, sollte es notwendig werden, und nicht wie einer von diesen empfindlichen Kerlen zu werden, die sich an etwas einmal Gesagtes klammern, selbst wenn man ihnen nachweist, dass sie viel zu voreilig waren mit ihrer Schlussfolgerung! Nun denn, Inspector, ich sage nicht, dass ich mich geirrt habe … aber ich hatte
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