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Ein Grausames Versprechen

Titel: Ein Grausames Versprechen
Autoren: Katherine Howell
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was ich bei dieser oder jener Leiche gesehen habe. Mir ist immer, als müsste ich sehr vorsichtig sein mit dem, was ich sage, als würden die Anwälte nur darauf warten, dass ich einen Fehler mache, und dann hätten sie mich.« Er fuhr sich mit den Händen an die eigene Kehle und tat, als würde er sich erwürgen.
    »Die Familien von Blakes Opfern waren da«, sagte Lauren.
    »Oh.« Joe ließ die Hände sinken. »Freie Fahrt auf dieser Seite.«
    Lauren hatte die Gesichter der Leute im Gerichtssaal beobachtet, als sie beschrieb, wie sie Blakes Leiche fand. Da war eine Frau etwa in ihrem eigenen Alter gewesen, deren rechtes Auge ständig gezuckt hatte, während Lauren schilderte, wie sie nach einem Puls gefühlt hatte, als könnte sie sich nicht vorstellen, die Haut des Mannes selbst zu berühren. Oder vielleicht konnte sie es und sie hatte an mehr gedacht, als sie nur zu berühren. Vielleicht hatte sie sich vorgestellt, wie befriedigend es gewesen sein musste, mit dem nie gefundenen stumpfen Gegenstand den Schädel des Mannes zu zertrümmern.
    Die Tatsache, dass so viele der Opfer mehr als zwanzig Jahre nach Blakes Übergriffen zum Gericht gekommen waren, belegte, welche Auswirkungen er auf ihr Leben gehabt hatte. Wenn Lauren daran dachte, wenn sie sich an dieses Zucken und die faltigen Gesichter älterer Leute erinnerte, bei denen es sich vermutlich um Eltern von Opfern gehandelt hatte, gewann sie fast den Eindruck, als habe Thomas der Allgemeinheit einen Dienst erwiesen. Sie hatte irgendwo gelesen, Menschen wie Blake ließen sich nicht resozialisieren. Egal, ob er die Todesstrafe verdient hatte oder nicht, Kinder verdienten Schutz. Das konnte niemand bestreiten.
    »Ein Bus«, sagte Joe.
    »Ich sehe ihn.« Sie fragte sich allerdings, warum Thomas es getan hatte. Er war nicht hier aufgewachsen, konnte kein Opfer von Blake gewesen sein. War er ein Opfer von jemand anderem?
    »Frei auf dieser Seite.«
    Thomas und Kristi waren fast ein Jahr lang zusammen gewesen, und Lauren war offen gestanden froh gewesen, als er kurz nach dem Autounfall verschwand. Er hatte von Österreich aus geschrieben, man habe ihn wegen Überziehung seines Visums abgeschoben, er dürfe deshalb nicht wieder einreisen, und wie leid es ihm tue, aber zu diesem Zeitpunkt war Kristi bereits ein paar Monate clean und in der Lage, ihre Beziehung als die Katastrophe zu erkennen, die sie gewesen war. Sie hatte Felise in der Säuglingsstation in den Armen gehalten und den Kopf über den Mann geschüttelt, der nichts mit seiner Tochter zu tun haben wollte. Es war keine Überraschung für Lauren gewesen. Kristi war während der Schwangerschaft, gelinde gesagt, meist benebelt gewesen, deshalb hatte sie vielleicht nicht bemerkt, wie Thomas immer das Thema wechselte, wenn die Sprache auf das Baby kam, wie angewidert er ihren wachsenden Bauch betrachtete, aber Lauren hatte es bemerkt, und sie hatte innerlich gekocht.
    »Die nächste links«, sagte Joe. »Nummer vier zehn, Wohnung sieben.«
    Aber sie musste jetzt aufhören, darüber nachzudenken. Der Fall war erledigt, wenn auch nicht vollständig abgeschlossen: Die Polizei interessierte der Täter keinen Deut, sie hatte genug Arbeit, und Thomas war ohnehin wahrscheinlich seit Monaten wieder in Österreich. Sie hatte ihre Schwester beschützt, das war alles, was zählte. Nachdem sie Brendan vor neun Jahren verloren hatten, würde sie ihr ganzes weiteres Leben lang alles tun, was nötig war, um Kristi weiteres Leid zu ersparen.
    Alles war bestens. Sie, Kristi und Felise waren frei und unbehelligt. Sie rutschte auf ihrem Sitz umher, setzte sich aufrechter. »Vier zehn?«
    »Ja. Da ist es.« Joe deutete, und Lauren schaltete Blaulicht und Sirene aus und parkte im Halteverbot.
    Sie trafen sich an der Seitentür des Rettungswagens und zogen ihre Ausrüstung heraus. »Eine Wette?«
    »Seine Freundin hat Schluss mit ihm gemacht.« Joe hängte sich das Sauerstoffgerät über die Schulter.
    Lauren hakte das tragbare Funkgerät in ihren Gürtel. »Ich tippe auf ein Gefühl äußersten Lebensverdrusses.«
    Joe lachte und lief die Treppe hinauf. Lauren folgte, das EKG-Gerät und der Arzneikoffer zerrten an ihren Armen. »Einen Kaffee bei Gilly’s, wenn ich recht habe.«
    Joe erreichte den Treppenabsatz des dritten Stocks und klopfte an die Tür. Nachmittagslicht fiel durch das Flurfenster und ließ die feinen Härchen in seinem Nacken leuchten. Als Lauren die letzten Stufen zu ihm hinaufstieg, fühlte sie sich
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