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Ein geschenkter Tag

Ein geschenkter Tag

Titel: Ein geschenkter Tag
Autoren: Anna Gavalda
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ist das. Bei euch hat nie einer Ahnung. Es ist immer dasselbe. Künstlerchaos. Könnt ihr euch nicht von Zeit zu Zeit mal ein bisschen organisieren? Ein kleines bisschen wenigstens?«
    »Ich habe gestern mit ihr telefoniert«, sagte ich schroff. Es ging ihr nicht gut, und sie wusste noch nicht, ob sie kommt.
    »Das wundert mich gar nicht.«
    Oh, wie ich diesen herablassenden Ton verabscheute.
    »Was wundert dich nicht?«, knurrte ich.
    »Hier. Bei euch. Da wundert mich gar nichts mehr! Und wenn es Lola nicht gutgeht, ist sie selbst schuld. Das wollte sie doch, oder? Sie hat ja auch ein Händchen dafür, sich in die unmöglichsten Situationen zu bringen. Man macht sich keine Vorstellung ...«
     
    Ich sah, wie sich Simons Stirn im Rückspiegel in Falten legte.
     
    »Na ja, meine Meinung zu dem Ganzen ..., pff?« Ja. Genau. Deine Meinung zu dem Ganzen, pff. »Das Problem bei Lo-«
    »Stopp«, bremste ich sie mitten im Fluss, »Stopp. Ich habe heute nicht genug geschlafen. Ein andermal ...«
     
    Sie war verärgert:
    »In dieser Familie darf man aber auch gar nichts sagen. Sobald man die kleinste Bemerkung macht, stürzen sich die drei anderen auf einen und halten einem das Messer an den Hals, vollkommen lächerlich.«
    Simon suchte meinen Blick.
    »Das bringt dich wohl zum Lachen, was? Euch beide! Das ist wirklich die Härte. Ihr seid so kindisch. Man darf ja wohl noch eine Meinung haben, oder? Aber da ihr das nicht hören wollt, kann man nichts sagen, und da niemand was sagt, seid ihr immer im Recht. Ihr stellt euch nie in Frage. Ich werde euch sagen, was ich davon halte ...«
    Es interessiert uns nicht die Bohne, was du davon hältst, meine Liebe!
    »Ich denke, dass ihr euch mit dieser Art Schutzmechanismus, diesem >wir halten zusammen und scheißen auf die anderem keinen Gefallen tut. Das ist alles andere als konstruktiv.«
    »Was ist schon konstruktiv auf dieser Welt, meine liebe Carine?«
    »Genau dieses Getue meine ich, Hilfe. Lasst mich bitte mit eurer abgenutzten Sokrates-Philosophie in Ruhe. In eurem Alter ist das nur noch peinlich. Sag mal, bist du bald fertig mit deiner Spachtelmasse, das Zeug ist ja wirklich ekelhaft.«
    »Ja, ja«, beruhigte ich sie und rollte die Kugel über meine schmächtigen weißen Waden, »ich bin gleich soweit.«
    »Trägst du denn hinterher keine Creme auf? Deine Poren stehen doch unter Schock, du musst ihnen wieder Feuchtigkeit zuführen, sonst hast du bis morgen rote Pickel.«
    »Mist, ich habe nichts dabei.«
    »Hast du keine Pflegelotion?«
    »Nein.«
    »Auch keine Tagescreme?« »Nein.«
    »Auch keine Nachtcreme?« »Nein.«
    »Du hast nichts mit?« Sie war entsetzt.
    »Doch. Eine Zahnbürste, Zahnpasta, ein Fläschchen L'Heure Bleue, Kondome, Mascara und einen rosa Labello.«
    Sie war erschüttert.
    »Ist das alles, was du in deinem Kulturbeutel hast?«
    »Ah, ich habe die Sachen in der Handtasche. Einen Kulturbeutel besitze ich nicht.«
    Sie seufzte, ging auf Tauchstation in ihrem Kosmetikkoffer und hielt mir eine große weiße Tube hin.
    »Hier, trag wenigstens das hier auf.«
    Ich bedankte mich mit einem ehrlichen Lächeln. Sie war zufrieden. Sie kann schon eine wahre Nervensäge sein, aber sie ist auch hilfsbereit. Das muss man ihr lassen.
    Und sie mag es nicht, wenn Poren unter Schock stehen. Das bricht ihr das Herz.
    Nach einem kurzen Moment fügte sie hinzu:
    » Garance ?«
    »Mmmm ...«
    »Weißt du, was ich zutiefst ungerecht finde?«
    »Die Gewinnspannen bei Marionnaud ...«
    »Dass du trotzdem gut aussehen wirst. Mit einem Hauch Lipgloss und einer Spur Wimperntusche wirst du richtig gut aussehen. Es fällt mir schwer, dir das zu sagen, aber es ist die Wahrheit ...«
     
    Ich war fassungslos. Es war das erste Mal seit Jahren, dass sie etwas Nettes zu mir sagte. Fast hätte ich sie umarmt, aber dann musste sie mir gleich wieder einen Dämpfer verpassen:

     
    »He! Du verbrauchst ja meine ganze Tube! Die hier ist nicht von L'Oréal, will ich dir nur mal sagen.«
     
    Das ist Carine, wie wir sie kennen. Aus Angst, dabei erwischt zu werden, wie sie einmal schwach wird, macht sie immer eine spitze Bemerkung, sobald sie einen gestreichelt hat.
    Schade. So bringt sie sich um jede Menge schöner Momente. Es wäre ein schöner Moment für sie gewesen, wenn ich mich ihr ohne Vorwarnung an den Hals geworfen hätte. Ein spontaner Kuss zwischen zwei LKWs. Aber nein. Sie muss immer alles kaputtmachen.
    Oft denke ich, dass ich sie ein paar Tage als Praktikantin zu mir holen
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