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Ein geschenkter Tag

Ein geschenkter Tag

Titel: Ein geschenkter Tag
Autoren: Anna Gavalda
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wir sie wie junge Hunde umschwänzelt. Oh! Was haben wir sie an diesem Tag gefeiert! Wir haben ihr versprochen, ab jetzt unsere gesamten Einkäufe bei ihr zu machen, wir waren sogar bereit, sie mit Doktor oder Professor Lariot-Molinoux anzureden, damit wir bei ihr gut angesehen waren.
    Wir waren bereit, die RER zu nehmen, um zu ihr rauszufahren! Und das will etwas heißen, bei Lola und mir, dass wir mit der RER bis nach Poissy fahren würden.
    Jenseits der Marschall-Boulevards fühlen wir uns nämlich nicht mehr wohl ...
     
    Aber so weit brauchten wir nicht zu gehen, kaum war unser erstes Sonntagessen zu Ende, hat sie uns am Arm genommen, die Augen niedergeschlagen und uns anvertraut:
    »Wisst ihr - äh - ich werde euch keinen Preis-nachlass geben können, weil - äh - wenn ich damit anfange - versteht ihr - dann - ich - dann weiß man nicht mehr, wo man damit aufhören soll.« »Nicht einmal eine winzige Kleinigkeit«, hatte Lola lachend zurückgefragt, »nicht einmal ein paar Pröbchen?« »Ja, doch«, hatte sie geantwortet und erleichtert aufgeseufzt, »doch, doch, Pröbchen, das geht. Kein Problem.«
    Und als sie ging, wobei sie die Hand unseres Bruders fest umklammert hielt, damit er nicht davonflog, knurrte Lola, während sie ihr vom Balkon hinunter Kusshände zuwarf: »Ihre Pröbchen, die kann sie sich sonstwohin stecken .. «
    Ich war ganz ihrer Meinung, daraufhin haben wir die Tischdecke ausgeschüttelt und über etwas anderes gesprochen.
     
    Heute ziehen wir sie gern damit auf. Sobald wir sie sehen, erzähle ich ihr von meiner Freundin Sandrine, die Stewardess ist, und von den guten Preisen, die sie im Duty-Free-Shop für uns bekommt. Beispiel:
    »He, Carine. Was, meinst du, kostet das Zwei-Phasen-Peeling mit Stickstoff und Vitamin B 12 von Estée Lauder?«
    Nun muss unsere liebe Carine lange nachdenken. Sie konzentriert sich, schließt die Augen, ruft sich ihre Liste in Erinnerung, berücksichtigt ihre Marge, rechnet die Steuern raus und sagt:
    »Fünfundvierzig?«
    Ich drehe mich zu Lola um:
    »Weißt du noch, was du dafür bezahlt hast?«
    »Sorry! Wovon redet ihr?«
    »Dein Zwei-Phasen-Peeling mit Stickstoff und Vitamin B 12 von Estée Lauder, das Sandrine dir neulich mitgebracht hat.«
    »Ja und?«
    »Was du dafür bezahlt hast?«
    »Mann. Du stellst aber auch Fragen. Irgendwas um die zwanzig Euro, glaube ich.«
    Carine versagt die Stimme:
    »Zwanzig Euro! Das Zwei-Phasen-Peeling mit Vitamin B 12 von Lauder! Bist du sicher?«
    »Ich glaube schon.«
    »Bei dem Preis, das muss eine Fälschung sein! Sorry, aber da seid ihr wohl einem Betrüger aufgesessen. Die haben Nivea-Creme in ein gefälschtes Fläschchen gekippt, und schon war die Sache geritzt. Tut mir leid, euch das sagen zu müssen«, fügt sie triumphierend hinzu, »aber euer Teil ist nichts wert! Der reinste Ramsch!«
    Lola tut ganz geknickt:
    »Bist du sicher?«
    »Toooooodsicher. Ich kenne ja die Produktionskosten! Bei Lauder nehmen sie nur ätherische
    Öle ...«
     
    Das ist der Moment, in dem ich mich zu meiner Schwester umdrehe und frage: »Hast du sie nicht mit?« »Was denn?« »Na, deine Creme.«
    »Nö, ich glaub nicht. Oder doch? Moment, ich schau mal in meiner Tasche nach.«
    Sie kehrt mit ihrem Fläschchen zurück und reicht es der Expertin.
    Diese setzt zuerst ihre Lesebrille auf und inspiziert das fragliche Objekt von allen Seiten. Wir beobachten sie schweigend, hängen leicht verängstigt an ihren Lippen.
    »Und, Frau Doktor?«, wagt Lola sich vor.
    »Doch, doch, das ist eine echte Lauder. Ich erkenne den Duft. Und die Konsistenz. Lauder hat eine ganz besondere Konsistenz. Unglaublich. Was, sagst du, hast du dafür bezahlt? Zwanzig Euro? Unglaublich«, seufzt Carine und steckt ihre Brille zurück ins Etui, das Etui in ihr Biotherm-Täschchen, das Biotherm-Täschchen in ihre Tod's-Tasche. »Unglaublich. Das entspricht dem Selbstkostenpreis. Wie soll unsereiner überleben, wenn sie den Markt dermaßen kaputtmachen? Unlauterer Wettbewerb ist das. Sonst nichts. Das ist ... Da ist überhaupt keine Gewinnspanne mehr drin, die ...
    Wirklich unfassbar. Das macht mich völlig fertig, hier ...«
    Und in ihrem abgrundtiefem Erstaunen tröstet sie sich damit, lange den zuckerfreien Zucker in ihrem koffeinfreien Kaffee umzurühren.
     
    Das Schwierigste für uns ist, uns bis zur Küche zu beherrschen. Sobald wir sie erreicht haben, prusten wir los wie zwei giggelnde Hühner. Falls unsere Mutter dazukommt, ist sie ganz betrübt: »Was seid
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