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Ein geschenkter Tag

Ein geschenkter Tag

Titel: Ein geschenkter Tag
Autoren: Anna Gavalda
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ihr gemein, ihr zwei«, und Lola antwortet entrüstet: »Moment mal, der ganze Spaß hat mich immerhin zweiundsiebzig Kröten gekostet!« Dann platzen wir wieder los, stützen uns auf den Geschirrspüler und halten uns die Seiten vor Lachen.
     
    »Tja, wenn du letzte Nacht so viel gewonnen hast, könntest du dich ja ausnahmsweise mal am Benzin beteiligen.«
    »Am Benzin UND an der Autobahngebühr«, sage ich und reibe mir die Nase.
    Ich kann es nicht sehen, aber ich stelle mir vor, wie sie zufrieden lächelt und ihre Hände gesittet auf den Beinen ruhen, die sie eng aneinanderpresst.
    Ich schiebe die Hüfte vor, um einen großen Schein aus meiner Jeans zu ziehen.
     
    »Lass das«, sagt mein Bruder. Woraufhin sie quiekt:
    »Aber Simon, wirklich, ich sehe nicht ein, dass ...«
    »Lass das, habe ich gesagt«, wiederholt mein Bruder, ohne die Stimme zu erheben.
    Sie öffnet den Mund, schließt ihn wieder, windet sich ein wenig, öffnet von neuem den Mund, entfernt ein imaginäres Staubkorn von ihren Schenkeln, berührt ihren Saphirring, dreht ihn wieder an die richtige Stelle, inspiziert ihre Fingernägel, macht Anstalten, etwas zu sagen - bleibt aber stumm.
     
    Es knirscht im Gebälk. Wenn sie die Klappe hält, heißt das, dass sie sich gestritten haben. Wenn sie die Klappe hält, heißt das, dass mein Bruder die Stimme erhoben hat. Das kommt selten vor.
    Mein Bruder regt sich nie auf, redet nie schlecht über andere, weiß nicht, was Gehässigkeit ist, und urteilt nicht über seinen Nächsten. Mein Bruder stammt von einem anderen Planeten. Von der Venus vielleicht ...
     
    Wir vergöttern ihn. Wir fragen ihn: »Wie kannst du bloß so ruhig bleiben? Wie machst du das?« Er zuckt mit den Schultern: »Keine Ahnung.« Wir fragen weiter: »Hast du nicht manchmal Lust, dich ein bisschen gehenzulassen? Richtig schäbige, richtig gehässige Sachen zu sagen?«
    »Dafür hab ich doch euch, meine Lieben«, antwortet er mit einem engelsgleichen Lächeln.
     
    Ja, wir vergöttern ihn. Alle Welt vergöttert ihn. Unsere Kindermädchen, die Grundschullehrerinnen, die Gymnasiallehrer, seine Kollegen, seine Nachbarn. Alle.
    Als wir noch klein waren, haben wir uns in seinem Zimmer auf dem Teppich gefläzt, seine Platten gehört und seine Bonbons stibitzt, während er an unseren Hausaufgaben saß, und wir machten uns einen Spaß daraus, uns die Zukunft vorzustellen. Ihm prophezeiten wir:
    »Du bist so ein lieber Kerl, du lässt dich bestimmt von einem richtigen Biest krallen.«
    Bingo.
     
     
    Ich kann mir gut vorstellen, worüber sie sich gestritten haben. Vermutlich über mich. Ich könnte ihre Unterhaltung auf den Seufzer genau wiedergeben.
     
    Gestern nachmittag habe ich meinen Bruder gefragt, ob ich bei ihm mitfahren kann. »Was für eine Frage«, hat er am Telefon mit gespielter Entrüstung geantwortet. Anschließend hat die dumme Ziege bestimmt einen Tobsuchtsanfall gekriegt, sie müssten einen riesigen Umweg machen. Mein Bruder hat wahrscheinlich mit den Schultern gezuckt, und sie hat noch eins draufgesetzt. »Aber Schatz, um ins Limousin zu fahren, ist die Place Clichy, soweit ich weiß, nicht gerade eine Abkürzung ...«
    Er musste sich sicher zwingen, hart zu bleiben, und als sie sich schlafen legten, war sie verstimmt und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu.
    Beim Aufstehen war sie schlecht gelaunt. Vor ihrem Biogetreidekaffee hat sie noch einmal damit angefangen: »Ehrlich, deine faule Schwester hätte auch früher aufstehen und hierherkommen können ... Sie bringt sich im Job bestimmt nicht um, oder?«
    Er reagierte nicht. Studierte die Karte.
    Sie ist zum Schmollen in ihrem Badezimmer von Kaufmann & Broad verschwunden (Ich erinnere mich an unseren ersten Besuch. Eine Art malvenfar-benen Musselinschal um den Hals, flatterte sie zwischen den Grünpflanzen hindurch und kommentierte begeistert ihr Lustschlösschen: Hier haben wir die Küche - sehr funktional. Hier das Esszimmer - sehr gemütlich. Hier das Wohnzimmer - sehr wandlungsfähig. Hier ist Leos Zimmer - sehr spielfreundlich. Hier die Waschküche - unentbehrlich. Hier das Badezimmer - mit Doppelwaschbecken. Hier unser Schlafzimmer - ganz hell. Hier ... Wir hatten den Eindruck, sie wollte es uns verkaufen. Simon hat uns anschließend zum Bahnhofgebracht, und als wir uns verabschiedeten, haben wir noch einmal gesagt: »Ein schönes Haus hast du.« »Ja, sehr funktional«, hat er kopfnickend wiederholt. Auf dem ganzen Rückweg haben weder Lola noch Vincent noch ich
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