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Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Philippe Grimbert
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Meisterschwimmerin. Unter der Statue kommt das kleine Mädchen zum Vorschein. Nach einigen Wochen kann er auf ihre Gegenwart nicht mehr verzichten. Sie treffen sich auch außerhalb des Clubs, er nimmt sie im Cabriolet mit, gemeinsam entdecken sie seine Lieblingsplätze in Paris neu: die Place de la Concorde bei Regen, den ländlichen Zauber unter den vier Straßenlaternen der Place Furstenberg, den Markt auf der Place d’Aligre, den kleinen Friedhof, der die Kirche Saint Germain de Charonne umgibt.

Nach einigen Monaten ziehen sie zusammen in das ruhige Viertel, in dem ich geboren wurde. Ein Jahr später beschließen sie zu heiraten. Tania steht nicht mehr auf dem Laufsteg, sie hilft jetzt Maxime in der Rue du Bourgl’Abbé, und unter ihrem Einfluß spezialisiert sich der Laden auf den Handel mit Sportbekleidung.

    Maxime ist noch immer verliebt wie am ersten Tag. Tania ist vom selben Glücksgefühl erfüllt, aber sie hätte gern ein Kind. Maxime zögert. Er möchte Tania noch einige Jahre für sich haben. Der drohende Krieg, der seine Schatten vorauswirft, liefert ihm ein Argument mehr: Ist es denn vernünftig, in solch dunklen Zeiten ein Kind zu bekommen?

    Paris wartet gespannt. Man spürt die Unruhe, das Gären in den Straßen, in den Debatten vor den Zeitungskiosken. Maxime und Tania arbeiten härter denn je, es kommen immer mehr Kunden in den Laden, als steigerte die drohende Katastrophe die Einkaufswut. Diese Aufgeregtheit ist auch auf dem Sportgelände zu spüren, wo sie weiterhin eifrig trainieren. Jeder will über sich hinauswachsen, die Wettkämpfe in der Halle werden erbitterter geführt, die Gegner gehen leidenschaftlicher in die Kämpfe, als dürsteten sie nach noch mehr Siegen.
    Sie erfahren vom Einmarsch der deutschen Truppen in Polen, im Radio werden ständig alarmierende Meldungen gesendet. In dem kleinen Büro, das sie im ersten Stock über ihrem Laden eingerichtet haben, beugen sichMaxime und Tania über den großen Rundfunkempfänger aus Nußbaum.
    Auf den Titelseiten der Zeitungen künden Artikel in schwarzen Rahmen wie Todesanzeigen von der Kriegserklärung. Ein Gefühl der Unwirklichkeit stellt sich bei ihnen ein: Nach politischen Entscheidungen, die in fernen Amtsstuben getroffen wurden und die sie nicht verstehen, sollen im Norden Frankreichs entlang nicht lokalisierbarer Grenzen zwei Armeen gegeneinander kämpfen. Sie würden weder Explosionen noch die Schreie der Verwundeten hören. Im Schutz der Maginot-Linie, deren Unüberwindbarkeit man ihnen versichert hat, würde La France rasch den Sieg davontragen. Was sich da im Dreck der Schützengräben abspielt, nimmt sich in ihren Augen wie ein sportlicher Wettkampf aus.

Jedesmal, wenn meine Eltern auf die Zeit des Krieges zu sprechen kamen, tauchte der Name des Dorfes auf, in dem sie aufgenommen worden waren, als sie wegen der Lebensmittelknappheit und der drohenden Beschlagnahmung die Demarkationslinie überquert hatten. Sie schlossen den Laden und vertrauten den Schlüssel ihrer treuen Nachbarin und Freundin Louise an. Sie sollte darüber wachen, daß das Lager während ihrer Abwesenheit nicht geplündert würde. Eine ihrer Kusinen, die im Rathaus einer Gemeinde im Département Indre arbeitete, hatte ihnen die Adresse einer Familie besorgt, bei der sie unterkommen konnten. Mit der Sicherheit, ein Dach über dem Kopf zu haben, verließen sie Paris und gingen nach Saint-Gaultier, ein Name, den sie mit schwärmerischer Begeisterung aussprachen. Sie verbanden damit zwei außergewöhnliche Jahre, Erinnerungen reinsten Glücks, ein Hort des Friedens mitten im Krieg.

    Sie fanden Zuflucht auf einem Landsitz am Ufer der Creuse bei einem pensionierten Oberst, der dort mit seiner Tochter lebte, einer ledigen älteren Dame, die Lehrerin war. Fern des Kriegslärms ist der Marktflecken eine Insel der Ruhe. Den Ängsten, Entbehrungen und Lebensmittelrationierungen, unter denen man in den Großstädten leidet, ist man hier offenbar nicht ausgesetzt. Der Oberst hat gute Beziehungen zu den Bauern in der Umgebung, er kennt sie seit langem. Diese Bauern schlachten seit Beginn der Kampfhandlungen schwarz, so daß es an Fleisch und Grundnahrungsmitteln nichtmangelt. In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft glauben Maxime und Tania zu träumen, als sie sich beim Oberst an den Tisch setzen und Eier, Butter aus dem Faß und Braten vorfinden.
    Sie bewohnen ein Zimmer unter dem Dach und teilen das beschauliche Leben ihrer Gastgeber, deren Abende von den Schlägen
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