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Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Ein Geheimnis: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Philippe Grimbert
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einer Wanduhr bestimmt werden. Um ihren Unterhalt zu bestreiten, arbeitet Maxime im Park des Anwesens sowie in denen der benachbarten Landsitze, spaltet das Holz für den Winter und kümmert sich um Gemüsebeete und Rabatten. Tania gibt den Schulkindern Turnunterricht. Nebenbei finden sie genügend Zeit, um die Gegend zu erkunden, mit dem Fahrrad fahren sie auf bergigen Straßen durch die angrenzende Hügellandschaft. Wenn das Wetter es erlaubt, durchquert Tania schwimmend die Creuse, und manchmal klettert sie auf den Pfeiler einer zerstörten Brücke, an dem sich die Strömung bricht, und springt ins kalte Wasser des Flusses. An der Böschung im Gras sitzend, betrachtet Maxime ihre von der Sonne umstrahlte Silhouette.

    Am Abend, wenn die kleine Stadt einschläft und sie dem Oberst und seiner Tochter genug Gesellschaft geleistet haben, gehen Maxime und Tania aus dem Haus, spazieren in der Dunkelheit die Uferböschung entlang, lehnen sich an eine der noch warmen Steinmauern am Weg und küssen sich wie frisch Verliebte. Das Plätschern des Flusses verstärkt den ruhigen Charakter der Örtlichkeit, der Mond taucht die Befestigungsmauern über ihnen in ein gespenstisches Licht: Wie soll man da an die Sirenen denken, die entsetzte Familien aus dem Schlaf reißen?Wie sich die Angst der Frauen und Kinder vorstellen, die bei schummrigem Licht in Kellern sitzen, die zu ihren Gräbern werden könnten, und sich aneinander pressen?
    Wenn sich die Kühle der Nacht über ihre Schultern legt, kehren sie um, steigen Arm in Arm die Treppe hoch, vermeiden jedes Knacken der Eichenstufen und lieben sich dann schweigend in ihrem engen Bett bis zum Morgengrauen.

Ich habe so lange geglaubt, ich sei der erste, der einzige. Ich wäre gern in den Liebesnächten gezeugt worden, die meine Eltern nach der Rückkehr von ihren nächtlichen Spaziergängen in ihrem Mansardenzimmer in Saint-Gaultier verbrachten. Sie waren während des Krieges geringeren Prüfungen ausgesetzt als andere, erlebten die Erniedrigungen und Verbrechen der Invasoren nicht am eigenen Leib und verglichen ihren Aufenthalt im Indre mit den großen Ferien. Ich stellte mir vor, ein wohlgesinnter Weichensteller habe den langen Troß der Trauernden, Leidgeprüften und Geschändeten umgeleitet, so daß er mit seinem Elend nicht durch die friedlichen Straßen der kleinen Gemeinde Saint-Gaultier gezogen ist. Der Krieg hatte seinen Schrecken nur im Rundfunk entfaltet, er beschränkte sich auf die Informationen, die Berichterstatter mit näselnder Stimme verbreiteten; die Bilder des Grauens blieben zwischen den Buchdeckeln von Geschichtsbüchern verborgen.

    Bei ihrer Rückkehr nach Paris fanden Maxime und Tania ihr Ladengeschäft unversehrt vor, mußten allerdings mit Verdruß feststellen, daß die Händler in ihrer Nachbarschaft zu Reichtum gekommen waren. Wer nicht zur Flucht gezwungen war, hatte aufgrund der geringen Konkurrenz und der außerordentlich hohen Preise ein wahres Vermögen anhäufen können. Louise wartete auf sie und paßte auf ihre Waren auf, als wären es ihre eigenen. Sie hatte alle Prüfungen und Demütigungen überlebt.

Die ersten Nachkriegsjahre sind weitaus unbehaglicher für sie als die Jahre ihres Rückzugs ins Indre: Der Einkauf ist schwierig, die Waren tröpfeln nur langsam bei ihnen ein, die Industrie braucht Zeit, um wieder in Gang zu kommen. Die Webstühle im Aube-Tal sind Tag und Nacht in Betrieb, die Fabriken bemühen sich, ihren vollen Auftragsbüchern gerecht zu werden. Es gibt immer noch Lebensmittelkarten, und der Tisch bei Maxime und Tania ist keineswegs reich gedeckt. Aber sie knüpfen an ihre alten Gewohnheiten an, in ihrem Laden drängt sich wie früher die Kundschaft, und die beiden finden wieder den Weg zu den Sportstätten an der Marne, um zu trainieren.

    Einige Jahre später scheinen die Wunden des Landes vernarbt zu sein. Tania kommt auf ihren so lange gehegten Wunsch zurück, sie will unbedingt ein Kind bekommen. Aber Maxime zeigt sich noch immer zögerlich. Ihr Zusammenleben bereitet ihm so große Freude, sein Begehren für Tania hat kein bißchen nachgelassen, sein Zögern hat denselben Hintergrund wie früher: Er möchte seine Frau mit niemandem teilen. Als er später von der Empfängnis spricht, sagt er mit einem Lachen, dieses Kind sei ihm so herausgerutscht.

    Mit der Ankündigung meiner Existenz erlebt Tania voller Glück, wie sich ihr Bauch rundet, aber mit der Entbindung werden die Dinge schwieriger. Es ist von Zangengeburt,
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