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Ein Gebet für die Verdammten

Ein Gebet für die Verdammten

Titel: Ein Gebet für die Verdammten
Autoren: Aufbau
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Wallfahrt gewesen.
    Offensichtlich hatte sie ihn nicht bemerkt, und so konnte er sie in aller Ruhe betrachten. Wohlgefällig glitten seine Augen über ihren schlanken Körper; die fraulichen Rundungen kamen trotz des Überwurfs zur Geltung. Sie trug eine enganliegende purpurrote Tunika und einen weichfließenden blauen Rock aus
sida,
teurer Seide, wie man sie von weitgereisten Handelsherren erwerben konnte, es hätte aber auch gut
sróll,
glänzender Satin sein können. Ein gemusterter
criss
oder Gürtel betonte die schmale Taille und den Schwung ihrer Hüfte. Ihr Halsschmuck leuchtete im Sonnenlicht, eine Kette aus rotem Jaspis. Nur kurz tastete sie mit einer blassen Hand danach, und Bruder Augaire erhaschte den Blick auf ein Armband aus Blattgold. An den Füßen hatte sie Schuhe aus Wildleder mit Schmuckelementen.
    Ganz eindeutig handelte es sich um ein Mädchen aus dem Adel, aus einer wohlhabenden Familie.
    Bruder Augaire schaute in die Runde, vermutete in ihrer Nähe einen Begleiter oder Leibwächter. Aber es war niemand zu sehen, nicht einmal ein geduldig wartendes Pferd irgendwo am Ufer. Als wäre sie plötzlich aus dem Nichts erschienen.
    Am liebsten hätte er ihr einen Gruß zugerufen, doch kummervoll und sehnsüchtig blickte sie unentwegt aufs Meer; esverbot sich einfach, sie in ihrem Träumen zu stören. Fast kam er sich wie ein Unbefugter auf fremdem Grund und Boden vor und rutschte unruhig auf seinem Felsblock hin und her. Er glaubte, sich davonstehlen zu müssen.
    Dann drehte sich das Mädchen um und sah kurz zu ihm hinüber, oder besser, sah durch ihn hindurch. Er hatte eher das Gefühl, daß ihre dunklen, melancholischen Augen ihn gar nicht richtig wahrnahmen. Doch der kurze Moment genügte, daß er den tiefen Schmerz in ihrem Gesicht erkannte, ein Ausdruck, der von mehr als nur Kummer zeugte. Die schönen Züge waren zu einer bleichen Maske gefroren, als hätte ein grausames Erlebnis das Blut in ihren Adern erstarren lassen. Auch die Tränen schienen für immer versiegt, doch den erschreckenden Abgrund in der Tiefe ihres Herzens und die dunkle Quelle, der sie entsprungen waren, die gab es noch. Deutlich konnte er das in ihrem gequälten Blick erkennen.
    Einen Moment senkte Bruder Augaire die Augen. Als er wieder aufsah, lenkte das Mädchen seine Schritte sorgsam, doch entschlossen vom Ufer fort und stieg den felsigen Pfad zu der sich weiter hinten erhebenden Landspitze bergan. Jenseits des Findlings, auf dem Bruder Augaire saß, ragte eine Felsnase von mehr als einem Kilometer Länge in das Meer. Rinn Carna nannte man sie oder Cairns Point, weil die hohen Felsgebilde, die die kleine Halbinsel umschlossen, wie Grabhügel anmuteten.
    Er beobachtete sie beim Aufstieg und konnte sich nicht verzeihen, sie nicht gegrüßt zu haben. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und rief ihr laut nach: »Paß gut auf dich auf, Tochter. Der Weg dort ist steil, und die Steine sind spitz.«
    Das Mädchen reagierte nicht. Vielleicht hatte sie ihn auchnicht gehört. Sie blieb in ihre Melancholie versunken und ging weiter.
    Unverhofft gab es einen scharfen Ruck an der Angelschnur, und ein prachtvoller Barsch verlangte Bruder Augaires ganze Aufmerksamkeit. Als er ihn glücklich ans Ufer befördert hatte und ihn in den Korb zu den anderen Fischen tun wollte, vernahm er Schritte auf dem Strandkies und schaute auf. Ein junges Mitglied der Bruderschaft kam auf ihn zu.
    » Dominus tecum,
Bruder Augaire. Glück mit dem Fischfang?«
    »Wenn noch drei anbeißen,
Deo volente,
dann reicht es zum Abendessen für die ganze Gemeinschaft«, erwiderte Bruder Augaire fromm. Er hielt inne und warf einen besorgten Blick auf Rinn Carna. »Hast du auf deinem Weg hierher Fremde bemerkt, Bruder Marcán?«
    »Fremde?« Der junge Mann schüttelte den Kopf.
    »Auch kein angepflocktes Pferd oder irgendein Fuhrwerk? Niemand, der vielleicht auf jemanden gewartet hat?«
    Lächelnd schüttelte Bruder Marcán abermals den Kopf. »Warum auch? Außer unserer kleinen Bruderschaft gibt es doch keine weitere Ansiedlung hier in der Nähe.«
    »Dir ist kein junges Mädchen aufgefallen, das an unserer Klause vorbeigekommen ist?« fragte Bruder Augaire mit leichtem Stirnrunzeln. »Ich würde meinen, sie hätte zu Pferd und in Begleitung einer Leibwache gewesen sein müssen.«
    »Ein junges Mädchen? Ich habe überhaupt niemanden heute früh hier gesehen. Worauf willst du hinaus?«
    »Es ist nur, weil …«
    Er verstummte, als er bemerkte, daß Bruder
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