Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Gebet für die Verdammten

Ein Gebet für die Verdammten

Titel: Ein Gebet für die Verdammten
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
vertreten eine andere Auffassung«, erwiderte Bruder Madagan abweisend.
    Abt Ségdae versuchte zu vermitteln. »Ähnlich wie du setzt sich mein Verwalter leidenschaftlich für die Rechte unserer Abtei ein.
Audi alteram partem
– wir sind bereit, die Gegenseite zu hören, gibt es doch stets zwei Auffassungen zu jeder Frage. Offensichtlich liegt dir daran, lieber Bruder in Christo« – Ultán blickte scharf auf, machte man sich über ihn lustig? –, »uns weitere Überlegungen zu unterbreiten. Sehe ich das richtig?«
    Abt Ultán nickte rasch. »Bruder Drón, mein Schreiber, wird das für mich tun.«
    Der so Aufgeforderte räusperte sich. »Ich nehme mir die Freiheit, aus einem heiligen Buch von Ard Macha zu zitieren.« Er wandte sich zu der frommen Schwester neben ihm. »Schwester Marga, das Buch, bitte.«
    Sie griff in eine Tasche, die sie bei sich führte, und beförderte ein kleines, in Kalbsleder gebundenes Buch zutage, dassie Bruder Drón reichte. Der nahm es, schlug eine bereits markierte Seite auf und begann zu lesen: »Ein himmlischer Bote erschien dem heiligen Patrick und sprach: ›Der Herrgott hat dir und deiner Stadt, die in der Sprache der Iren Ard Macha heißt, alle irischen Gebiete in
modum parochiae
übereignet … ‹«
    »Bruder Drón, ich habe den Eindruck, du liest uns aus dem Buch vor, das bei euch
Liber Angeli
heißt«, unterbrach ihn Abt Ségdae. »Das ist uns wohlbekannt. Genauer gesagt, wir haben sogar Ard Macha um Erlaubnis gebeten, einen Schreiber dorthin schicken zu dürfen, damit er eine Kopie für unser
scriptorium
anfertigt.«
    Stirnrunzelnd sah Bruder Drón auf. »Ganz recht. Ich lese aus dem
Buch des Engels
. Angesichts dieser wundersamen Erscheinung, die der heilige Patrick hatte, besteht Ard Macha auf der Oberhoheit über die Kirchen und Klöster der fünf Königreiche von Éireann. Alle Glaubenshäuser haben sich Ard Macha unterzuordnen und ihm in geistlicher und materieller Hinsicht Tribut zu zollen.« Bruder Drón tippte mit dem Zeigefinger auf die Pergamentseite. »Hier steht es geschrieben, Abt Ségdae. Das ist der Grund unseres Hierseins, euch darauf hinzuweisen, daß ihr euch der heiligen Weisung entsprechend zu verhalten habt.«
    Lächelnd schüttelte Abt Ségdae den Kopf.
    »Als junger Mann habe ich eure große Abtei besucht.« Er sprach langsam, fast ein wenig verträumt. »Ich habe die Schreiber und Gelehrten von Ard Macha kennengelernt.« Er redete nicht weiter, und alle warteten, aber er verharrte in Schweigen, schien von seinen Erinnerungen fortgetrieben.
    Nervös blickte Bruder Drón zu Abt Ultán. »Was hat das mit unseren Darlegungen zu tun?« fragte er schließlich.
    »Was es damit zu tun hat?« Mit krauser Stirn schaute AbtSégdae auf, als überraschte ihn die Frage. Doch sogleich lächelte er wieder. »Ich habe nur an die Zeiten gedacht, ehe überhaupt irgend jemand in Ard Macha etwas von dieser himmlischen Botschaft ahnte. Das Buch und die darin erhobenen Ansprüche sind ganz offensichtlich erst neuerlichen Datums.«
    Schwester Margas Federkiel, mit dem sie Notizen machte, brach. Bruder Drón sah sie strafend an, und sie murmelte eine Entschuldigung.
    Unbeeindruckt von der kleinen Störung führte Bruder Madagan den Gedankengang seines Abts fort. »Nicht einmal bei Muirchú maccu Machtheri, dem ersten großen Biographen von Patrick, steht geschrieben, daß Patricks sterbliche Überreste in Ard Macha zur Ruhe gebettet sind. Jedermann weiß, daß er in Dún Pádraig begraben liegt und daß er just diesen Ort allen anderen als Mittelpunkt seiner Kirche vorzog. Wer den heiligen Patrick zu verehren wünscht, muß nach Dún Pádraig gehen.«
    Abt Ultán schwollen die Zornesadern an. Er kämpfte mit sich, es nicht zu einem weiteren Wutausbruch kommen zu lassen.
    »Sind das die Worte, die ich dem
archiepiscopus
Ségéne, dem Comarb des heiligen Patrick, als Antwort überbringen soll?« fragte er drohend.
    Andeutungsweise neigte Abt Ségdae den Kopf. »Du kannst diese Worte dem Abt und Bischof von Ard Macha übermitteln. Imleach erkennt weder seine Ansprüche,
archiepiscopus
sein zu wollen, an noch eine Vorrangstellung von Ard Macha unter den Kirchen der fünf Königreiche.«
    »Du solltest es dir gut überlegen, ob du tatsächlich eine abschlägige Antwort geben willst«, mahnte ihn Abt Ultán spitz.
    »Auch erneute Überlegungen führen immer zu dem gleichenSchluß, lieber Bruder in Christo«, erwiderte Abt Ségdae mit einem leichten Stoßseufzer. »Wie sollte es auch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher