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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter
Autoren: Kristin Hannah
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ihre Aufmerksamkeit nur kraft seiner blendenden Zuneigung auf sich gezogen, wie ein Magier, doch wie bei allen Illusionen schimmerte die Wahrheit letzten Endes doch hervor.
    Daher war allen klar, was Merediths Frage bedeutete.
    »Ich weiß es nicht, Meredoodle«, antwortete der Vater und griff auf der Suche nach einer Zigarette in seine Tasche. »Die Geschichten deiner Mutter –«
    »Ich höre ihr unheimlich gern zu«, sagte Meredith.
    »Nur dann spricht sie wirklich mit uns«, fügte Nina hinzu.
    Der Vater zündete sich die Zigarette an, kniff seine braunen Augen zusammen und blickte durch die graue Rauchspirale zu ihnen. »Ja«, sagte er und atmete aus. »Nur …«
    Vorsichtig, um nicht auf die Kulisse zu treten, ging Meredith zu ihm. Sie verstand, warum er zögerte. Keiner von ihnen wusste, was genau ihre Mom berührte, aber dieses Mal war Meredith sich sicher, eine Möglichkeit gefunden zu haben. Wenn ihre Mutter eines liebte, dann war es dieses Märchen über ein kühnes Bauernmädchen, das es wagte, sich in einen Prinzen zu verlieben. »Es dauert nur zehn Minuten, Dad. Ich habe es gestoppt. Es wird allen gefallen.«
    »Na dann, gut«, war er schließlich einverstanden.
    Meredith spürte, wie Stolz und Hoffnung in ihr aufwallten. Dieses eine Mal würde sie die Party nicht in irgendeinem dunklen Winkel verbringen und lesen oder in der Küche den Abwasch erledigen. Dieses Mal würde sie im Zentrum der mütterlichen Aufmerksamkeit stehen. Dieses Theaterstück würde beweisen, dass Meredith sich jedes einzelne kostbare Wort ihrer Mutter gemerkt hatte, obwohl es leise und im Dunkeln zur Schlafenszeit geäußert worden war.
    In der nächsten Stunde half Meredith ihren Schauspielern durchs Stück, obwohl eigentlich nur Jeff Hilfe brauchte. Denn sie und Nina hatten das Märchen jahrelang immer wieder gehört.
    Später, als die Probe vorbei war und alle auseinandergegangen waren, machte Meredith sich wieder an die Arbeit. Sie malte ein Schild, auf dem EINMALIGE VORSTELLUNG ZUM FEIERTAG und ihre drei Namen standen. Sie besserte notdürftig die Kulisse aus (sie ganz zu retten, war unmöglich, da Nina wie immer über die Konturen gemalt hatte) und stellte sie dann ins Wohnzimmer. Nachdem die Bühne fertig war, nähte sie Pailletten auf den Tüll des Ballettröckchens, den die Prinzessin am Ende des Stücks tragen sollte. Als sie schließlich ins Bett ging, war es zwei Uhr morgens, und selbst da war sie noch so aufgeregt, dass sie lange nicht einschlafen konnte.
    Der nächste Tag schien sich endlos in die Länge zu ziehen, aber schließlich, gegen sechs Uhr, trudelten die Gäste ein. Es waren nur wenige, die üblichen Bekannten: Arbeiter der Obstplantage und ihre Angehörigen, ein paar Nachbarn. Und die einzige lebende Verwandte des Vaters, seine Schwester Dora.
    Meredith saß auf dem oberen Treppenabsatz und blickte hinunter zur Eingangshalle. Nervös tappte sie mit dem Fuß auf und wartete auf den rechten Zeitpunkt für ihren großen Auftritt.
    Gerade, als sie aufstehen wollte, hörte sie ein schepperndes Gongen.
    O nein! Sie schoss in die Höhe und stürzte die Treppe hinunter, aber es war zu spät.
    Nina stand in der Küche, schlug mit einer Suppenkelle auf einen Topf und brüllte: »Showtime!« Niemand konnte einem besser die Show stehlen als Nina.
    Gelächter ertönte, und die Gäste strebten von der Küche ins Wohnzimmer, wo neben dem großen Kamin die Schlosskulisse am Leinwandhalter aufgespannt war. Rechts davon stand der mächtige Weihnachtsbaum, der mit bunten Lämpchen und dem Weihnachtsschmuck dekoriert war, den Meredith und Nina über die Jahre selbst gebastelt hatten. Vor der Kulisse war die Bühne: ein kleines Podest auf dem Holzboden und eine Straßenlaterne aus Pappe, auf die eine Taschenlampe geklebt worden war.
    Meredith dimmte das Wohnzimmerlicht, schaltete die Taschenlampe ein und verschwand hinter der Kulisse. Nina und Jeff warteten dort bereits in ihren Kostümen.
    Sie hatten nur wenig Platz. Wenn sie sich zur Seite beugte, konnte sie ein paar der Gäste sehen, und diese konnten auch sie sehen, aber sie fühlte sich dennoch geschützt. Als die Gespräche verstummten, holte Meredith tief Luft und begann mit der Einführung, die sie sich so sorgfältig ausgedacht hatte. »Ihr Name ist Vera, und sie ist ein armes Bauernmädchen, ein Niemand. Sie lebt in einem magischen Land namens Schneereich, aber ihre geliebte Heimat droht zu schwinden. Das Böse ist in ihr Land gedrungen; ausgesandt von einem
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