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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter
Autoren: Kristin Hannah
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erwachsen zu fühlen wie noch am Morgen, doch ihr Selbstvertrauen war dahin. Sie wusste, was passieren würde: Ihr Dad würde die Mutter beruhigen und danach in ihr Zimmer kommen. Er würde sie zum Lachen bringen, sie in seine großen, starken Arme nehmen und ihnen erzählen, wie lieb ihre Mom sie hätte. Wenn er dann mit seinen Scherzen und Geschichten fertig wäre, würde Meredith ihm verzweifelt glauben wollen. Wieder einmal.
    »Ich weiß, was ich machen werde«, sagte sie und marschierte durch die Halle zur Küche, bis sie einen Blick auf ihre Mutter erhaschen konnte – nur auf ihr schmales schwarzes Samtkleid, ihren bleichen Arm und ihr schneeweißes Haar. »Ich werde mir nie wieder ihre blöden Märchen anhören.«

 
    Wir wissen nicht, wie wir Lebwohl sagen sollen;
    so wandern wir weiter, Schulter an Schulter.
    Schon geht die Sonne unter;
    du bist bedrückt; ich bin dein Schatten.
     
    Anna Achmatowa

Eins
    2000
    Sah man so in den Vierzigern aus? Im Ernst? Im vergangenen Jahr war Meredith von einer Miss zu einer Ma’am geworden. Einfach so, ohne Übergang. Schlimmer noch: Ihre Haut verlor langsam an Spannkraft. Fältchen zeigten sich an Stellen, die früher glatt gewesen waren. Ihr Hals war auch nicht mehr so schlank, ganz ohne Zweifel. Allerdings wurde ihr Haar noch nicht grau, dies war ein Pluspunkt. Ihr kastanienbraunes Haar, das sie in einem strengen, schulterlangen Bob trug, war immer noch voll und glänzend. Aber ihre Augen verrieten sie. Sie blickten müde, und das nicht nur um sechs Uhr morgens.
    Meredith wandte sich vom Spiegel ab, schlüpfte aus ihrem alten T-Shirt und zog sich eine schwarze Jogginghose, Söckchen und einen langärmligen schwarzen Pulli an. Während sie ihr Haar in einem Stummelschwanz zusammenfasste, verließ sie das Bad und ging ins dunkle Schlafzimmer, wo das leise Schnarchen ihres Mannes sie verlockte, wieder ins Bett zu kriechen. Früher hätte sie das einfach gemacht und sich an ihn geschmiegt.
    Jetzt verließ sie das Zimmer, zog leise die Tür hinter sich zu und ging den Flur hinunter zur Treppe.
    Im fahlen Schein zweier altgedienter Nachtlichter ging sie an den verschlossenen Zimmertüren ihrer Kinder vorbei. Jetzt waren sie allerdings keine Kinder mehr. Jillian war bereits neunzehn und studierte im zweiten Jahr Medizin an der UCLA, und Maddy – Merediths Nesthäkchen – war achtzehn und hatte gerade an der Vanderbilt-Universität angefangen. Ohne sie war das Haus – und ihr Leben – leerer und stiller, als Meredith erwartet hatte. Fast zwanzig Jahre lang war sie hingebungsvoll die Mutter gewesen, die sie selbst nie gehabt hatte, und das mit Erfolg. Ihre Töchter und sie verstanden sich prächtig. Seit ihrem Fortgang hatte sie das Gefühl, sich selbst überlassen und irgendwie nutzlos zu sein. Sie wusste, das war albern. Schließlich hatte sie jede Menge zu tun. Sie vermisste einfach die Mädchen, mehr nicht.
    Also machte sie weiter. In letzter Zeit schien ihr dies die beste Methode, mit allem umzugehen.
    Unten angekommen, hielt sie gerade lange genug im Wohnzimmer inne, um die Beleuchtung des Weihnachtsbaums einzuschalten. Im Flur sprangen die Hunde kläffend und schwanzwedelnd an ihr hoch.
    »Luke, Leia, runter!«, mahnte sie die Huskys und kraulte ihnen die Ohren, während sie zur Hintertür gingen. Als sie sie öffnete, strömte kalte Luft herein. In der Nacht hatte es wieder geschneit, und obwohl es an diesem Morgen Mitte Dezember immer noch dunkel war, schimmerten Straße und Feld perlmuttfarben. Ihr Atem verwandelte sich sofort in dunstige Wölkchen.
    Als sie draußen auf dem Weg waren, war es zehn nach sechs, und der Himmel erhellte sich in einem dunklen Purpurgrau.
    Pünktlich auf die Minute.
    Zuerst lief Meredith langsam los, um sich an die Kälte zu gewöhnen. Wie jeden Morgen in der Woche joggte sie die Schotterstraße hinunter, die von ihrem Haus zum Anwesen ihrer Eltern führte, und dann weiter zu dem Feldweg, der etwa eine Meile weiter oben am Hügel endete. Von dort aus machte sie einen Schlenker zum Golfplatz und zurück. Genau vier Meilen, jeden Morgen, und sie ließ kaum einen Tag aus. Im Grunde blieb ihr auch nichts anderes übrig. Denn alles an Meredith war großzügig angelegt. Sie war groß und hatte breite Schultern, geschwungene Hüften und große Füße. Ihr blasses, ovales Gesicht wirkte etwas zu klein für ihren großen Mund à la Julia Roberts, für die riesigen braunen Augen, die ausgeprägten Augenbrauen und das dicke Haar. Nur
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