Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter
Autoren: Kristin Hannah
Vom Netzwerk:
regelmäßiger Sport, strenge Diät, gute Haarprodukte und eine Riesenpinzette ermöglichten, dass sie gut aussah.
    Als sie wieder auf die Schotterstraße einbog, beschien die aufgehende Sonne die Berge und ließ ihre schneebedeckten Gipfel in Lavendel und Pink aufleuchten.
    Zu beiden Seiten säumten nackte, dürre Apfelbäume die Straße und wirkten im Schnee wie braune Kreuzstiche auf weißem Stoff. Dieses schmale Stück Land gehörte ihrer Familie seit fünfzig Jahren, und da, genau in der Mitte, stand groß und stolz das Haus, in dem sie aufgewachsen war. Belije Notschi. Selbst in der Morgendämmerung wirkte es protzig und lächerlich fehl am Platz.
    Meredith rannte den Hügel hinauf, schneller und immer schneller, bis sie kaum noch Luft, dafür aber Seitenstiche bekam.
    Sie stoppte vor ihrer eigenen Veranda, gerade als sich das Tal mit hellgoldenem Licht füllte. Dann fütterte sie die Hunde und rannte ins Haus. Sie wollte ins Bad, als Jeff herauskam. Sein blondes Haar mit den grauen Strähnen war noch tropfnass, und er trug nur ein Handtuch. Als sie voreinander standen, wandte er sich zur Seite, um sie durchzulassen, und sie tat es ihm nach. Keiner von beiden sagte ein Wort.
    Um zwanzig nach sieben föhnte sie sich die Haare, und um halb acht – pünktlich auf die Minute – zog sie sich schwarze Jeans und eine taillierte Bluse für die Arbeit an. Noch etwas Eyeliner, Rouge und Mascara, dazu ein Hauch Lippenstift und sie war bereit für den Tag.
    Unten in der Küche saß Jeff an seinem üblichen Platz am Tisch und las die New York Times . Die Hunde schliefen zu seinen Füßen.
    Sie ging zur Kaffeemaschine und schenkte sich eine Tasse ein. »Möchtest du auch?«
    »Nein, danke«, erwiderte er, ohne aufzusehen.
    Meredith rührte Sojamilch in ihren Kaffee und sah zu, wie sich die Farbe veränderte. Sie dachte, dass sie und Jeff in letzter Zeit nur aus einer gewissen Distanz miteinander redeten, wie Fremde – oder ein desillusioniertes Paar –, und dann nur über die Arbeit oder die Kinder. Halbherzig versuchte sie sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal miteinander geschlafen hatten, aber es fiel ihr nicht ein.
    Vielleicht war das normal. Ganz sicher sogar. Wenn man schon so lange verheiratet war wie sie, dann gab es eben Flauten. Dennoch machte es sie manchmal traurig, wenn sie daran dachte, wie leidenschaftlich sie früher gewesen waren. Bei ihrer ersten Verabredung waren sie vierzehn gewesen (sie waren in Frankensteins Sohn gewesen; immer noch einer ihrer Lieblingsfilme), und ehrlich gesagt, hatte sie seitdem nur noch Augen für Jeff gehabt. Seltsam, wenn sie jetzt darüber nachdachte; sie hielt sich nicht für romantisch, aber bei ihr war es praktisch Liebe auf den ersten Blick gewesen. Seit sie denken konnte, war er ein Teil von ihr.
    Sie hatten früh geheiratet – im Grunde zu früh –, und sie war ihm ans College nach Seattle gefolgt, wo sie abends und an den Wochenenden in verrauchten Bars arbeitete, um die Studiengebühren zu bezahlen. Sie waren glücklich gewesen in dem winzigen, vollgestopften Apartment im Studentenwohnheim. Im letzten Studienjahr dann war sie schwanger geworden. Zuerst war sie in Panik geraten. Sie hatte befürchtet, wie ihre Mutter zu sein und ein Leben mit Kindern abzulehnen. Aber zu ihrer großen Erleichterung entdeckte sie, dass sie das vollkommene Gegenteil ihrer Mutter war. Vielleicht half es auch, dass sie so jung war. Ihre Mom war weiß Gott nicht mehr jung gewesen, als sie Meredith bekommen hatte.
    Jeff schüttelte den Kopf. Es war ein unmerkliches Zucken, kaum eine Bewegung, aber sie bemerkte es. Sie war immer so auf ihn eingestimmt gewesen, dass ihre beiderseitige Enttäuschung in letzter Zeit ein Geräusch zu erzeugen schien, ein hohes Pfeifen, das nur sie hören konnte.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Nichts.«
    »Aber du hast doch den Kopf geschüttelt. Was ist los?«
    »Ich hatte dich etwas gefragt.«
    »Das hab ich nicht gehört. Frag noch mal.«
    »Ist schon gut.«
    »Schön.« Sie nahm ihren Kaffee und ging ins Esszimmer.
    Das hatte sie schon hundertmal gemacht, und doch, gerade als sie unter der altmodischen Deckenlampe mit dem überflüssigen Plastikmistelzweig hindurchging, änderte sich ihre Perspektive.
    Sie sah sich selbst aus der Distanz: eine vierzigjährige Frau mit einem Kaffeebecher in der Hand, die zwei leere Plätze am Tisch betrachtete und dann ihren Mann, der immer noch da war; und für den Bruchteil einer Sekunde fragte sie sich, welch ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher