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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter
Autoren: Kristin Hannah
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sehen: ein altarähnlicher Tisch, ein paar Ikonen, ein, zwei Familienfotos und ein paar brennende Votivkerzen.
    Stacey kehrte ins Wohnzimmer zurück und stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab. Sie schenkte Tee ein und reichte Meredith eine Tasse. »Hier, bitte.«
    »Kennen Sie Dr. Adamowitsch?«, fragte Nina.
    »Allerdings«, antwortete Stacey. »Mein Vater und er waren eng befreundet. Ich habe ihm jahrelang bei seinen Forschungsarbeiten geholfen. Natürlich war ich keine Akademikerin. Ich habe nur getippt, Kopien gemacht und so weiter.«
    »Bei der Forschungsarbeit über die Belagerung?«, fragte Meredith.
    »Genau«, sagte Stacey.
    »Wir haben hier Kassetten.« Nina zeigte auf die knittrige Papiertasche zu ihren Füßen. »Unsere Mom hat Dr. Adamowitsch heute ihre Geschichte erzählt, und er hat uns hierhergeschickt.«
    Stacey merkte auf. »Ihre Geschichte? Was meinen Sie damit?«
    »Sie war damals in Leningrad. Während des Krieges«, erklärte Meredith.
    »Und er hat Sie zu uns geschickt?« Stacey drehte sich zu der Mutter um und sah sie an. Diese stand so reglos da wie eine Marmorstatue. »Warum denn?«
    Sie ging zu ihr und trat neben sie. Wieder wackelte die Teetasse auf der Untertasse. »Tee?«, fragte sie und blickte auf ihr strenges Profil.
    Meredith stand unwillkürlich auf. Nina folgte ihr.
    Sie stellten sich hinter ihre Mom.
    Meredith sah jetzt, was die Aufmerksamkeit ihrer Mutter gefesselt hatte. Auf dem Ecktisch standen zwei gerahmte Fotografien. Eine war eine Schwarzweißaufnahme von einem jungen Paar. Die Frau war groß und schlank, hatte pechschwarzes Haar und strahlte übers ganze Gesicht. Der Mann war blond und sah umwerfend aus. Vier blasse Linien durchschnitten wie ein Kreuz das Bild, als wäre es jahrelang gefaltet gewesen.
    »Das sind meine Eltern«, sagte Stacey langsam. »An ihrem Hochzeitstag. Meine Mutter war eine wunderschöne Frau. Ihr Haar war schwarz und weich und ihre Augen … ich kann mich immer noch an ihre Augen erinnern, ist das nicht komisch? Sie waren leuchtend blau, mit goldenen …«
    Langsam drehte die Mutter sich um.
    Stacey blickte in ihre Augen, und dann fiel ihr die Tasse aus der Hand, zersprang auf dem Holzboden und verspritzte Tee in alle Richtungen.
    Staceys rundliche Hand zitterte, als sie nach etwas auf dem Schrein griff, aber sie wandte ihren Blick nicht ab.
    Und dann hielt sie der Mutter etwas hin: einen kleinen Schmetterling mit Schmucksteinen.
    Die Mutter sank auf die Knie und sagte: »O mein Gott …«
    Am liebsten hätte Meredith die Arme ausgestreckt und ihr aufgeholfen. Stattdessen traten sie und Nina einen Schritt zurück.
    Denn Stacey sank nun ebenfalls auf die Knie. »Ich bin Anastasija Alexandrowna Marschenko Koontz aus Leningrad. Mama? Bist das wirklich du?«
    Mom holte scharf Luft und fing an zu weinen. »Meine Anja …«
    Merediths Herz fühlte sich an, als würde es gleichzeitig brechen, anschwellen und überquellen. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie dachte an all das, was die beiden durchgemacht hatten, an all die verlorenen Jahre, und ihre Wiedervereinigung war ein solches Wunder, dass sie es kaum glauben konnte. Sie trat näher zu Nina, um mit ihr zusammen zu sein. Sie legten die Arme umeinander und sahen zu, wie ihre Mutter zum Leben erwachte. Anders konnte man es nicht bezeichnen. Es war, als ob ihre Tränen – die vielleicht zum ersten Mal seit Jahrzehnten Freudentränen waren – ihre verdorrte Seele wässerten.
    »Wie ist das gekommen?«, fragte sie.
    »Papa und ich wachten in einem Lazarettzug Richtung Osten auf. Er war schwer verletzt … Jedenfalls kamen wir irgendwann zurück nach Wologda … und warteten«, erzählte Stacey und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Wir haben nie aufgehört, nach dir zu suchen.«
    Die Mutter schluckte hart. Meredith sah, dass sie all ihre Kraft zusammennehmen musste, um zu fragen: »Wir?«
    Stacey streckte die Hand aus.
    Die Mutter ergriff sie, klammerte sich buchstäblich daran.
    Stacey führte sie durchs Wohnzimmer zu einer Flügeltür nach draußen. Dort wartete ein äußerst gepflegter Garten auf sie. Süßer Blumenduft lag in der Luft – von Flieder, Geißblatt und Jasmin. Stacey drückte einen Schalter, und im ganzen Garten gingen Lampions an.
    Da sah Meredith im hinteren Teil einen kleinen, quadratischen Garten im Garten. Selbst aus der Ferne und im verschwommenen Licht der Laternen konnte man ein Stück kunstvoll verzierten Zaun sehen.
    Sie hörte ihre Mutter etwas auf
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