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Ein Ganz Besonderer Fall

Ein Ganz Besonderer Fall

Titel: Ein Ganz Besonderer Fall
Autoren: Ellis Peters
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berufen war.
    Deshalb lebte ich zurückgezogen und diente Gott, doch ohne die Gelübde einer Nonne abzulegen. In der Priorei von Sopwell in St. Albans kann dank der Barmherzigkeit des Priors Geoffrey eine ergebene Frau ein religiöses Leben im Dienste des Herrn führen, ohne den Schleier zu nehmen. Nun, da ich erfuhr, daß man mich für tot hält und mich sucht, will ich allen Bescheid geben, die mich kennen, damit niemand mehr meinetwegen bekümmert ist oder in Bedrängnis gerät.
    Ich bitte Euch, mein Herr, der Stadt und meinem guten Bruder und allen meinen Verwandten dies zu verkünden und einen vertrauenswürdigen Mann zu schicken, der mich wohlbehalten nach Shrewsbury bringt, und ich verbleibe Eure dankbare Schuldnerin.
    Julian Cruce.«
    Lange bevor er zu Ende gelesen hatte, entstand eine Unruhe, die Leute murmelten, und die Unruhe fuhr wie eine Bö durch die Reihen der Zuhörer. Sie summten wie ein Bienenschwarm, und plötzlich brach Reginald sein verblüfftes Schweigen und rief erstaunt, verwirrt und freudig:
    »Meine Schwester lebt? Sie lebt! Mein Gott, wie haben wir uns geirrt…«
    »Sie lebt!« flüsterte Nicholas benommen. »Julian lebt… sie lebt und ist wohlauf…«
    Das Murmeln schwoll zu einem aufgeregten, verwunderten Chor an, und darüber erhob sich Abt Radulfus’ frohlockende Stimme: »Die Gnade Gottes ist unendlich. Aus dem Schatten des Todes zeigt er uns seine wunderbare Güte.«
    »Wir haben einen ehrlichen Mann zu Unrecht verdächtigt!« rief Reginald, der in der Entschuldigung ebenso heftig war wie in der Anklage. »Er war wirklich ihr Vertrauter, wie er immer behauptete! Nun wird mir alles klar - alles, was er verkaufte, hat er für sie verkauft, nur für sie! Der Schmuck, der ihr in der Welt gehörte - sie hatte natürlich das Recht, damit zu tun, was sie…«
    »Ich will sie selbst in Polesworth abholen, und Ihr könnt mich begleiten«, sagte Hugh, »und Adam Heriet soll als freier Mann das Gefängnis verlassen und mit uns kommen. Wer hätte ein größeres Recht dazu als er?«
    Das Begräbnis von Bruder Humilis war im Nu zur Wiedererweckung von Julian Cruce geworden, ein Trauerzug hatte sich in ein Freudenfest verwandelt, Karfreitag ins Osterfest. »Ein Leben ward von uns genommen, ein anderes wurde uns geschenkt«, sagte Abt Radulfus. »Das ist das vollkommene Gleichgewicht. Wir brauchen weder Leben noch Tod zu fürchten.«
    Bruder Rhun kam, erfüllt von einer seltsamen Mischung aus Freude und Sorge, aus dem Refektorium und nahm die widerstreitenden Gefühle mit sich in die Stille und Abgeschiedenheit der Obstgärten in der Gaye. Wenn er den Küchengarten und die Felder hinter sich ließ und bis zum Rande des Abteilandes weiterging, würde er um diese Stunde in dieser Jahreszeit allein sein. Dort reichten die Bäume bis zum Wasser hinunter und neigten sich über den Fluß. Er blieb stehen und blickte den Strom hinab, in dem Fidelis untergegangen war.
    Der Fluß war immer noch reißend und dunkel, doch der Wasserspiegel war etwas gesunken. In den Senken der Feuchtwiesen am anderen Ufer standen noch flache Pfützen.
    Rhun dachte daran, wie der Körper seines Freundes unrettbar unter diese undurchsichtige Fläche gezogen worden war. Am Morgen war eine tot geglaubte Frau dem Leben zurückgegeben worden, und das war schön, aber es konnte nicht den Kummer ausgleichen, den er über den Verlust von Fidelis empfand. Er vermißte ihn mit brennender Sehnsucht, doch er sprach nicht darüber und reagierte auch nicht, wenn andere die Worte fanden, die er für den Ausdruck seines Kummers nicht finden konnte.
    Er überquerte die Grenzlinie des Abteilandes und schlängelte sich durch den Hain, um das nächste Stück des Flusses zu überblicken. Und plötzlich blieb er stehen und wich einen Schritt zurück, denn vor ihm war jemand; ein Mensch, der sogar noch unglücklicher war als er selbst. Bruder Urien saß zusammengekauert im schlammigen Gras zwischen den Büschen am Ufer und starrte die eiligen Wirbel im Wasser an.
    Die Tümpel in den Feuchtwiesen stromabwärts waren randvoll, denn in den beiden Nächten nach dem Sturm hatte es leicht geregnet, und wenn sie einmal gefüllt waren, konnten sie nicht leerlaufen, sondern nur langsam austrocknen. Der Kontrast zu den stillen Wasserflächen, den Spiegelbildern des hellblauen Himmels und den fliegenden weißen Wolken, ließ den dämonisch schnell fließenden Severn wie etwas Übernatürliches erscheinen, wie eine lebendige, bösartige Kraft, die Menschen
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