Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Ganz Besonderer Fall

Ein Ganz Besonderer Fall

Titel: Ein Ganz Besonderer Fall
Autoren: Ellis Peters
Vom Netzwerk:
Erfahrung gute Gründe hatte, an Wunder zu glauben.
    Julian Cruce traf gerade rechtzeitig in der Abtei von St. Peter und St. Paul ein, um die Seelenmesse für Bruder Humilis und Bruder Fidelis zu besuchen, die im schrecklichen Sturm zusammen ertrunken waren. Es war der zweite Tag nach Humilis’ Beerdigung, ein frischer, kühler Tag mit mildem blauem Himmel und duftender grüner Erde. Für kurze Zeit war noch einmal das Glühen des Sommers zurückgekehrt. Inzwischen wußte jeder in Shrewsbury und der näheren Umgebung, daß die Frau von den Toten auferstanden war, und alle wollten ihrer Rückkehr beiwohnen. Im Hof hatte sich eine große Menge gesammelt, um sie einreiten zu sehen, eskortiert von ihrem Bruder und Hugh Beringar und mit Adam Heriet als Gefolge. Im Tor stiegen sie ab, und die Pferde wurden fortgeführt. Reginald nahm seine Schwester an der Hand und führte sie durch die Neugierigen zur Kirchentür.
    Cadfael hatte sich wegen dieses Augenblicks einige Sorgen gemacht. Er stand dicht neben Nicholas Harnage, so daß er ihn warnend am Ärmel zupfen konnte, wenn dieser erschrak und ein unbedachtes Wort sagte. Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, ihn vorher zu warnen, um die Gefahr zu verringern.
    Doch andererseits war es besser, wenn der junge Mann keine Verbindung herstellte; es schien das Risiko wert. Wenn er nie gezwungen war, sich vorzustellen, wie tapfer ein Rivale gegangen war und wie unvergleichlich die Ergebenheit gewesen sein musste, dann stand seiner eigenen Werbung um so weniger im Weg. Wenn er sich ihr völlig unschuldig näherte, hatte er alle Vorteile auf seiner Seite, denn er hatte das Vertrauen und die Zuneigung von Godfrid Marescot genossen und seine Sorge um das Mädchen zur Genüge unter Beweis gestellt. Hier bestand guter Grund zu großer Freundlichkeit.
    Wenn er sie erkannte und im gleichen Augenblick den ganzen Zusammenhang überblickte, war er vielleicht entmutigt und näherte sich ihr nicht mehr, denn wer konnte Humilis folgen, ohne sich klein zu fühlen? Aber er mochte - es war gut möglich -, er mochte andererseits groß genug sein, um alle Nachteile auf sich zu nehmen, den Mund zu halten und sein Glück auf die Probe zu stellen. Den Mut dazu hatte er. Dennoch stand Cadfael wachsam und besorgt neben ihm, die Hand zum Ellbogen des jungen Mannes gehoben.
    Sie kam am Arm ihres Bruders durch die Menge; keine große Schönheit, einfach ein schlankes Mädchen in einem dunklen Mantel und mit einem ernsten, länglichen Gesicht, das streng von einer weißen Haube und einer dunkelblauen Kapuze eingefaßt war. Schwester Magdalena und Aline hatten sie gut zurechtgemacht. Die Trauerzeit verbot strahlende Farben, aber Aline hatte behutsam alles vermieden, was an das mönchische Schwarz erinnern konnte. Sie waren etwa gleich groß, beide hoch gewachsen und schlank. Die Kleider paßten gut. Die Tonsur würde noch eine Weile brauchen, um auszuwachsen, aber da der Ring aus nußbraunem Haar und die halbe Stirn bedeckt waren, war das ernste Gesicht nicht wiederzuerkennen. Sie hatte die Wimpern dunkel gefärbt, so daß ihre klaren grauen Augen einen etwas anderen Farbton bekamen. Sie hielt den Kopf hoch und gerade und ging langsam an den Männern vorbei, die viele Wochen lang mit Bruder Fidelis zusammengelebt hatten und die nun niemand anders als Julian Cruce sahen. Es gab keine Verbindung zur Abtei von Shrewsbury, es war einfach ein großes Wunder aus der Welt dort draußen, interessant, aber bald vergessen.
    Nicholas beobachtete sie und empfand eine tiefe, glühende Dankbarkeit, einfach, weil sie lebte. Vielleicht gab es in ihrem Leben keinen Platz für ihn, aber wenigstens lebte sie und hatte all die Jahre gelebt. Sie war keinem Verbrechen zum Opfer gefallen, während alle geglaubt hatten, die Jahre seien ihr durch eine grausame Untat gestohlen worden. Er würde um sie werben, aber nicht sofort. Sie sollte Zeit haben, ihn kennenzulernen, denn sie wußte nichts von ihm, und er hatte kein Recht auf sie. Es sei denn, Hugh Beringar hatte ihr von seinem Teil bei der Suche nach ihr erzählt. Aber ein Anrecht hatte er dadurch trotzdem nicht. Das mußte er sich verdienen.
    Doch als sie auf gleicher Höhe mit ihm war, drehte sie den Kopf und sah ihm in die Augen. Einen kurzen Moment nur, doch es war genug.
    Cadfael sah ihn erschauern und zittern, sah ihn die Lippen öffnen, vielleicht, um erschrocken zu rufen. Er hatte sie erkannt, doch er schwieg. Cadfael hatte seinen Arm gepackt, gab ihn aber sofort wieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher