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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gefällt. Jetzt bist du pensioniert, du hast alle Freiheiten der Welt.«
    Eine weitere unbequeme Bemerkung, bei der er nicht wusste, wie er sich aus der Affäre ziehen sollte. Er stand auf und gab vor, noch einmal seinen Reisekoffer zu überprüfen.
    Narciso stand um Punkt neun vor der Tür, wie Rigoberto ihn gebeten hatte. Der Pick-up, den er fuhr, ein Toyota neuesten Modells, war marineblau, und an den Rückspiegel hatte der ehemalige Chauffeur von Ismael Carrera ein koloriertes Bild der seligen Melchorita gehängt. Sie mussten, wie auch anders, eine ganze Weile warten, bis Lucrecia herauskam. Die verabschiedete sich von Justiniana mit nimmer endenden Umarmungen und Küssen, und erschrocken sah Rigoberto, wie sich ihre Lippen berührten. Doch weder Fonchito noch Narciso bemerkten es. Als der Wagen die Quebrada de Armendáriz hinunterfuhr und dann an der Costa Verde entlang in Richtung Flughafen, fragte Rigoberto Narciso, wie es ihm ergehe bei seiner neuen Arbeit in der Versicherungsgesellschaft.
    »Ausgezeichnet.« Narciso lachte übers ganze Gesicht und zeigte sein weißes Gebiss. »Ich dachte, die Empfehlung der Señora Armida würde bei den neuen Eigentümern nicht viel helfen, aber ich habe mich geirrt. Sie haben mich gut behandelt. Der Direktor persönlich hat mich empfangen, stellen Sie sich vor. Ein Italiener, stark parfümiert. Nur ist mir ganz anders geworden, als ich sah, wie er jetzt in Ihrem Büro sitzt, Don Rigoberto.«
    »Besser er als Miki oder Schlaks, meinst du nicht?« Rigoberto lachte schallend.
    »Unbedingt, gar keine Frage. Aber selbstverständlich!«
    »Und als was arbeitest du, Narciso? Chauffeur des Generaldirektors?«
    »Hauptsächlich. Wenn er mich nicht braucht, fahre ich Leute aus der ganzen Firma, ich meine, die aus den oberen Etagen.« Er machte einen zufriedenen Eindruck, sehr selbstsicher. »Manchmal schickt er mich auch zum Zoll, zur Post, zu den Banken. Ich arbeite hart, aber ich kann mich nicht beklagen, ich werde gut bezahlt. Und dank der Señora Armida habe ich jetzt ein eigenes neues Auto. Damit hätte ich nie gerechnet, wirklich nicht.«
    »Ein schönes Geschenk hat sie dir gemacht, Narciso«, bemerkte Lucrecia. »Toller Wagen.«
    »Armida hatte immer ein goldenes Herz«, bestätigte der Chauffeur. »Ich meine, die Señora Armida.«
    »Das war das Mindeste, was sie für dich tun konnte«, sagte Rigoberto. »Du hast dich ihr und Ismael gegenüber prima verhalten. Nicht nur dass du Trauzeuge warst, obwohl du genau wusstest, was du riskierst. Vor allem hast du dich von den Hyänen weder kaufen noch einschüchtern lassen. Da ist es nur gerecht, dass sie dir dieses kleine Geschenk macht.«
    »Der Wagen ist kein kleines Geschenk, sondern ein Riesengeschenk, Don Rigoberto.«
    Der Flughafen Jorge Chávez wimmelte von Menschen, die Schlange bei der Iberia war endlos. Doch Rigoberto verlor nicht die Geduld. Er hatte so viel durchgestanden in den letzten Monaten, die polizeilichen und gerichtlichen Vorladungen, die Blockierung seines Ruhestands, den Kummer, den Fonchito ihnen mit Edilberto Torres bereitete, was bedeutete da schon eine Schlange von einer Viertelstunde, einer halben Stunde oder was auch immer, wenn all der Ärger zurückblieb und er morgen Mittag mit seiner Frau und seinem Sohn in Madrid wäre. Schwungvoll warf er die Arme um Lucrecias und Fonchitos Schultern und verkündete, überschäumend vor Begeisterung:
    »Morgen Abend gehen wir ins beste und netteste Restaurantvon Madrid. Das Casa Lucio! Der Schinken dort und die Pommes frites mit Ei sind ein Leckerbissen ohnegleichen.«
    »Pommes frites mit Ei ein Leckerbissen, Papa?«, spöttelte Fonchito.
    »Lach nur, aber ich verspreche dir, so schlicht es sich anhört, im Casa Lucio haben sie aus diesem Gericht ein Kunstwerk gemacht, eine Köstlichkeit, dass du dir die Finger leckst.«
    Und im gleichen Moment erblickte er, nur wenige Meter entfernt, ein sonderbares Paar, das ihm bekannt vorkam. Es konnte nicht ungewöhnlicher und ungleicher sein. Sie, eine dicke, große, pausbäckige Frau, steckte in einer Art Gewand, rohweiß, das ihr bis zu den Knöcheln reichte, darüber ein dicker, irgendwie grüner Pullover. Das Seltsamste aber war dieses absurde flache Schleierhütchen auf ihrem Kopf, das ihr eine skurrile Note gab. Der Mann dagegen, klein, hager, kümmerlich, schien sich herausgeputzt zu haben in seinem eng anliegenden perlgrauen Minianzug mit modisch blauer Weste. Auch er trug, bis über die Stirn gezogen, einen Hut.
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