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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held
Autoren: Mario Vargas Llosa
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glaubst dieses Gerede, Adelaida?«
    »Ich glaube es, denn ich habe gehört, wie Leute von dort die Geschichte erzählten. Die Eltern geben sie an ihre Kinder weiter, seit damals, und wenn das schon so lange geht, muss es wahr sein.«
    Felícito hatte oft von dem Wunder gehört, es aber nie für bare Münze genommen. Demnach hatte, es war schon viele Jahre her, eine Abordnung von Honoratioren aus Ayabaca Geld gesammelt, um die Skulptur eines Christus in Auftrag zu geben. Sie gingen über die Grenze nach Ecuador und trafen drei weiß gekleidete Männer, die Holzschnitzer waren. Sie beauftragten sie sogleich, nach Ayabaca zu kommen und die Figur zu schnitzen. Das taten sie, verschwanden aber, bevor sie die vereinbarte Summe entgegengenommen hatten. Die Abordnung begab sich daraufhin noch einmal nach Ecuador, um nach ihnen zu suchen, aber niemand kannte sie dort, wusste auch nichts von ihnen. Mit anderen Worten, sie waren Engel gewesen. Dass Gertrudis es glaubte, war klar, aber ihn überraschte, dass auch Adelaida dieses Wunder einfach so schluckte.
    Nachdem sie sich unterhalten hatten, fühlte Felícito sich viel besser. Seine Gespräche mit Miguel und mit Mabel hatte er nicht vergessen, das würde er vielleicht nie, aber die Stunde, die er hier verbracht hatte, half ihm, die Erinnerung ein wenig abzuschütteln.
    Er dankte Adelaida für das gefilterte Wasser und das Gespräch, und auch wenn sie sich sträubte, nötigte er sie, die fünfzig Sol anzunehmen, die er ihr beim Abschied in die Hand drückte.
    Als er auf die Straße trat, kam es ihm vor, als knallte die Sonne noch heftiger. Er ging langsam nach Hause, und auf dem ganzen Weg traten nur zwei unbekannte Personen an ihn heran, um ihn zu grüßen. Erleichtert dachte er, dass er nach und nach keine Berühmtheit mehr wäre. Die Leute würden diekleine Spinne vergessen und nicht mehr auf ihn zeigen oder ihn ansprechen. Vielleicht lag der Tag nicht fern, an dem er sich in der Stadt wieder bewegen konnte wie ein namenloser Passant.
    Zu Hause stand das Mittagessen schon auf dem Tisch. Saturnina hatte eine Gemüsesuppe und leckere Ollucos mit Dörrfleisch und Reis zubereitet, Gertrudis stellte eine Kanne Limonade mit viel Eis dazu. Sie setzten sich und aßen schweigend, und erst als er den letzten Löffel Suppe gegessen hatte, erzählte Felícito seiner Frau, dass er am Vormittag Miguel gesehen und ihm angeboten habe, die Anzeige zurückzuziehen, wenn er einverstanden sei, seinen Nachnamen abzulegen. Sie hörte ihm stumm zu, und als er schwieg, sagte sie immer noch kein Wort.
    »Bestimmt nimmt er das Angebot an, dann kommt er frei«, fügte er hinzu. »Und wird Piura verlassen, wie ich es verlangt habe. Bei der Vorgeschichte würde er hier nie eine Arbeit finden.«
    Gertrudis nickte.
    »Willst du ihn nicht besuchen?«, fragte Felícito.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich will ihn auch nie wieder sehen«, sagte sie und löffelte ganz langsam ihre Suppe. »Nach dem, was er dir angetan hat, könnte ich es nicht.«
    Sie aßen schweigend weiter, und erst als Saturnina schon die Teller abgeräumt hatte, sagte Felícito leise:
    »Ich war auch in Castilla, du kannst dir schon denken, wo. Auch diese Angelegenheit wollte ich abschließen. Und das habe ich. Es ist für immer vorbei. Ich wollte, dass du es weißt.«
    Es folgte eine weitere lange Stille, unterbrochen nur vom Quaken eines Frosches im Garten. Schließlich hörte Felícito, wie Gertrudis ihn fragte:
    »Möchtest du einen Kaffee oder ein Tässchen Kamillentee?«

XX
    Als Don Rigoberto, es war noch dunkel, aufwachte, hörte er das Rauschen des Meeres und dachte: Endlich ist der Tag gekommen. Ein Gefühl von Erleichterung und Erregung packte ihn. War dies das Glück? Neben ihm schlief Lucrecia, ganz ruhig. Sie musste hundemüde sein, bis tief in die Nacht hatte sie noch Koffer gepackt. Eine Weile hörte er auf die Bewegung des Meeres – eine Musik, die man in Barranco tagsüber nie hörte, nur nachts, wenn der Straßenlärm verklungen war –, und dann stand er auf und ging, in Pyjama und Hausschuhen, in sein Arbeitszimmer. Im Lyrikregal suchte er nach dem Buch von Fray Luis de León, und im Schein des Leselämpchens las er das Gedicht, das dieser dem blinden Musiker Francisco de Salinas gewidmet hatte. Am Abend zuvor, beim Einschlafen, hatte er immerzu daran gedacht, und dann träumte er davon. Er hatte es oft gelesen, und jetzt, nachdem er es langsam noch einmal las, dabei nur leicht die Lippen bewegend, fand er es erneut
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