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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Jahrhundert auf dem Buckel war er schon zu alt, um seine Gewohnheiten zu ändern. Er war so versunken in seine Gedanken, dass er den Vortragskünstler Joaquín Ramos nur mit einem angedeuteten Nicken grüßte und weitereilte; sonst blieb er schon mal stehen, um ein paar Worte mit diesem unverbesserlichen Bohemien zu wechseln, der wahrscheinlich die Nacht in irgendeiner Kaschemme verbracht hatte und erst jetzt nach Hause ging, mit glasigen Augen, seinem ewigen Monokel und der Ziege im Schlepp, seiner Gazelle, wie er sie nannte.
    Als er zu seiner Firma kam, überzeugte er sich, dass die Busse zur vorgesehenen Uhrzeit losgefahren waren, nach Sullana, Talara und Tumbes, nach Chulucanas und Morropón, nach Catacaos, La Unión, Sechura und Bayóvar, alle gut besetzt, ebenso die Sammeltaxis nach Chiclayo und die Lieferwagen nach Paita. Eine Handvoll Leute gaben Pakete auf oder erkundigten sich nach den Abfahrtszeiten der Busse und Sammeltaxis am Nachmittag. Josefita, seine Sekretärin – breite Hüften, kesse Augen und immer tief ausgeschnittene Blusen – hatte ihm ereits die Liste mit den Terminen und Verpflichtungen desTages auf den Schreibtisch gelegt und die Thermosflasche mit dem Kaffee dazugestellt, den er bis zum Mittagessen trinken würde.
    »Was ist mit Ihnen, Chef?«, grüßte sie ihn. »Warum so ein Gesicht? Haben Sie schlecht geträumt?«
    »Ach, nichts Besonderes«, antwortete er, hängte Jackett und Hut an den Garderobenständer und setzte sich. Doch sofort stand er auf und schnappte sie sich wieder, als wäre ihm etwas Dringliches eingefallen.
    »Bin gleich zurück«, sagte er, schon auf dem Weg zur Tür. »Muss nur zur Polizei, Anzeige erstatten.«
    »Hat man bei Ihnen eingebrochen?« Josefita riss ihre lebhaften Glubschaugen auf. »Das passiert heute jeden Tag in Piura.«
    »Nein, nicht, ich erzähl’s dir später.«
    Entschlossenen Schrittes ging Felícito zum Revier, nur wenige Straßen von seinem Büro entfernt, ebenfalls an der Avenida Sánchez Cerro. Es war noch recht früh, die Hitze noch erträglich, aber er wusste, in weniger als einer Stunde würde diese Straße mit all ihren Reiseagenturen und Busgesellschaften zu glühen beginnen, und zurück käme er schweißnass. Miguel und Tiburcio, seine Söhne, hatten ihm oft gesagt, er sei verrückt, immer Sakko, Weste und Hut zu tragen in einer Stadt, wo alle, ob Arm oder Reich, das ganze Jahr über im kurzärmligen Hemd oder in Guayabera herumliefen. Aber seit er Transportes Narihualá eröffnet hatte, sein Lebenswerk, trug er diese Kleidungsstücke immer, ein Zeichen von Seriosität: sommers wie winters Sakko, Weste und die Krawatte mit dem Miniknoten. Er selbst war klein und spindeldürr, bescheiden und fleißig, ein Mensch, der drüben in Yapatera, wo er geboren war, und in Chulucanas, wo er die Grundschule besuchte, niemals Schuhe getragen hatte. Damit begann er erst, als er mit seinem Vater nach Piura kam. Mittlerweile war er fünfundfünfzig und hielt sich fit und gesund. Sein guter körperlicher Zustand verdankte sich, für ihn keine Frage, den morgendlichen Qigong-Übungen, die ihm sein Freund gezeigt hatte, der verstorbene Lau, Besitzer eines Kramladens. Es war dereinzige Sport, den er, abgesehen vom Zufußgehen, in seinem Leben getrieben hatte, sofern man diese Bewegungen in Zeitlupe Sport nennen konnte, die weniger ein Muskeltraining als vielmehr eine andere und klügere Art waren, zu atmen. Als er das Revier erreichte, war er empört, wütend. Ob Scherz oder nicht, wer diesen Brief geschrieben hatte, ruinierte ihm den ganzen Morgen.
    Das Revier war ein einziger Backofen, und da alle Fenster geschlossen waren, war es drinnen düster. Am Eingang stand ein Ventilator, der sich aber nicht rührte. Der Polizist am Meldetisch, ein Milchbubi noch, fragte ihn, was er wünsche.
    »Mit dem Kommissar sprechen, bitte«, sagte Felícito und reichte ihm sein Kärtchen.
    »Der ist für ein paar Tage in Urlaub«, erklärte ihm der Polizist. »Wenn Sie möchten, kann Sergeant Lituma sich um Sie kümmern, er vertritt ihn so lange.«
    »Dann spreche ich mit ihm, danke.«
    Er musste eine Viertelstunde warten, bis der Sergeant sich herabließ, ihn zu empfangen. Als der Polizist ihn zu der kleinen Stube führte, war sein Taschentuch ganz durchnässt, so oft hatte er sich die Stirn gewischt. Der Sergeant erhob sich nicht zu seinem Gruß, er streckte ihm nur eine feuchte, pummelige Hand entgegen und deutete auf den freien Stuhl vor sich. Er war rundlich, fast
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