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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held
Autoren: Mario Vargas Llosa
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undseine Rente besonnen und umsichtig ausgab und verwaltete, hätten Lucrecia und er einen unbeschwerten Lebensabend und könnten Fonchito die Zukunft absichern.
    Ja, genau, dachte er, ein langer, kultivierter und glücklicher Lebensabend. Aber warum spürte er dann, trotz dieser verheißungsvollen Zukunft, eine solche Unruhe? Wegen Edilberto Torres? Oder war es vorzeitige Melancholie? Vor allem wenn er, so wie jetzt, seinen Blick über die Fotos und Urkunden an den Wänden seines Büros schweifen ließ, die Bücher auf den beiden Regalen, seinen Schreibtisch mit den millimetergenau angeordneten Notizbüchern, Bleistiften und Füllfederhaltern, den Taschenrechner, die Berichte, den laufenden Computer und den Fernseher, auf dem immer Bloomberg TV mit den Aktienkursen lief. Wie konnte er nach all dem irgendeine Sehnsucht verspüren? Das Einzige, was in diesem Büro etwas bedeutete, waren die Fotos von Lucrecia und Fonchito – gerade geboren, als Kind und als Jugendlicher –, die er bei seinem Auszug mitnehmen würde. Außerdem würde dieses alte Gebäude am Jirón Carabaya, im Zentrum von Lima, bald nicht länger der Sitz der Versicherungsgesellschaft sein. Der neue Geschäftssitz in San Isidro, direkt am Zanjón, war schon fertiggestellt. Der hässliche Bau, in dem er dreißig Jahre seines Lebens gearbeitet hatte, würde wahrscheinlich abgerissen.
    Ismael, dachte er, würde mit ihm, so wie immer, wenn er ihn zum Essen einlud, in den Club Nacional gehen, und so wie immer würde er der Versuchung nicht widerstehen können, dieses riesige panierte Steak mit Tacu-tacu zu bestellen, auch »Laken« genannt, und ein paar Gläschen Wein zu trinken, worauf er sich den ganzen Nachmittag wie aufgeschwemmt fühlte, mit Verdauungsstörung und ohne Lust zu arbeiten.
    Doch zu seiner Überraschung sagte sein Chef zum Chauffeur, kaum dass sie in den Mercedes in der Garage des Gebäudes stiegen: »Nach Miraflores, Narciso, zum La Rosa Náutica.« Und zu Rigoberto gewandt: »Wird guttun, uns ein bisschen Meeresluft um die Nase wehen zu lassen und die Schreie der Möwen zu hören.«
    »Wenn du meinst, du könntest mich mit einem Mittagessen bestechen, dann vergiss es, Ismael«, machte er ihm gleich klar. »Ich gehe so oder so in Rente, auch wenn du mir die Pistole auf die Brust setzt.«
    »Das hättest du wohl gern«, sagte Ismael spöttisch. »Ich weiß, du bist stur wie ein Maultier. Aber ich weiß auch, dass du es bereuen wirst. Du wirst dich nutzlos fühlen, den ganzen Tag zu Hause rumsitzen und Lucrecias Geduld strapazieren. Und schon bald wirst du mich auf Knien bitten, dich in die Geschäftsleitung zurückzuholen. Das werde ich, klar. Aber vorher lasse ich dich schmoren, das verspreche ich dir.«
    Er versuchte sich zu erinnern, seit wann er Ismael kannte. Seit ziemlich vielen Jahren jedenfalls. Er war elegant, distinguiert, umgänglich. Und bis zu seiner Hochzeit mit Clotilde ein Don Juan. Ob ledig oder verheiratet, alt oder jung, er brachte die Frauen zum Schmachten. Jetzt hatte sich sein Haar gelichtet, nur noch ein paar irgendwie weiße Strähnen lagen auf der Glatze, das Gesicht war faltig, er hatte zugenommen und schlurfte. Man merkte, dass er ein falsches Gebiss trug, ein Zahnarzt in Miami hatte es ihm eingesetzt. Die Jahre und vor allem die beiden Zwillinge hatten ihn körperlich ruiniert. Kennengelernt hatte er Ismael an dem Tag, als er seine Stelle in der Versicherungsgesellschaft antrat, in der Rechtsabteilung. Dreißig lange Jahre! Nicht zu fassen, ein halbes Leben. Rigoberto musste an Ismaels Vater denken, Don Alejandro Carrera, den Gründer des Unternehmens. Robust, unermüdlich, ein schwieriger, aber integrer Mensch, dessen Anwesenheit allein schon für Ordnung und ein Gefühl von Sicherheit sorgte. Ismael hatte Respekt vor ihm, auch wenn er ihn nicht mochte. Denn Don Alejandro ließ seinen einzigen Sohn, der gerade aus London zurückgekommen war, wo er einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und ein einjähriges Praktikum bei Lloyd’s gemacht hatte, in allen Abteilungen des Unternehmens arbeiten, das mittlerweile eine gewisse Größe erlangt hatte. Ismael war schon fast vierzig und fühlte sich gedemütigt von dieser Lehrzeit, in der er unter anderem die Korrespondenz sortieren unddie Kantine verwalten musste und sich um die Motoren der Stromversorgung, den Wachdienst und die Gebäudereinigung zu kümmern hatte. Don Alejandro konnte sehr wohl auch despotisch sein, aber Rigoberto erinnerte sich seiner mit
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