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Lewitscharoff, Sibylle

Lewitscharoff, Sibylle

Titel: Lewitscharoff, Sibylle
Autoren: Apostoloff
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Sibylle Lewitscharoff
     
    Apostoloff
     
    Roman
     
     
    Unterwegs
mit Rumen
     
    Wir, sage ich zu meiner Schwester, sind noch gut davongekommen.
Meine Schwester sitzt vorne auf dem Beifahrersitz und schweigt. Nur ein
winziges Neigen des Kopfes Richtung Fenster deutet an, daß sie verstanden hat.
Sie ist an meine Eröffnungen gewöhnt und weiß, was gemeint ist.
    Weg
und fort und Ende, sage ich. Ein Vater, der ein Ende macht, bevor er die ganze Familie
zermürbt, ist eher zu loben als zu verdammen.
    Machen, da spielt doch der hellichte Tag mit hinein? Da will doch
etwas angestaunt werden, wenn's fertig ist? Gemach, Gemächt, gemacht. Gemacht
wird jetzt eine Boxbewegung auf die Kopfstütze zu, aber alles bleibt an der
Luft, schneller als gehoben liegt die Hand wieder auf dem Knie. Dumm? Ja, dumm
ist so manches, was ich tu, aber noch kein vernünftig Kraut dagegen gewachsen.
Meine Schwester hört und sieht mich im Moment nicht, weil sie Rumen anlächelt
und weil der Lärm des Wagens die feineren Geräusche schluckt.
    Manchmal
spreche ich zu meiner Schwester wie in den Wind. Sie kennt die Anläufe von
meiner Seite, in denen unser Vater selten gut, meistens schlecht wegkommt. Von
der Mutter schweigen wir eisern. Das Bezaubernde an meiner Schwester ist: sie
nimmt mich nicht ernst und verzeiht alles. Sie ist eine vorbildliche ältere
Schwester, die der jüngeren mit Engelsgeduld begegnet. Obwohl wir inzwischen
mittleren Alters sind, denkt meine um zwei knappe Jährchen ältere Schwester,
sie habe es mit einem unschuldigen Kind zu tun, über dessen Marotten man ein bisschen
die Stirn runzelt, im guten Glauben, sie würden sich noch auswachsen.
    Rumen
Apostoloff ist nicht an uns gewöhnt, sein Haar steht bis zu den Spitzen in
Hab-Acht-Stellung. Über meine Reden erschrickt er, meine Schwester himmelt er
an. Sein Gehör ist exzellent, er versteht fast immer, was wir sagen, nur wenn
wir absichtlich in breiteres Schwäbisch fallen, kommt sein detektivischer
Sprachsinn mit den weichen, verschliffenen Lauten nicht zurecht.
    Rumen
ist unser Hermes, er trägt die Sprachen hin und her, fährt und findet im Fahren
den Weg, einer jener verzweifelten bulgarischen Fahrer, die kein Auge dafür
haben, was am wegflitzenden Straßenrand alles krepiert. Als uns ergebener
Nervösling fährt er durch sein verzweifeltes Land, das bei Nacht noch viel
verzweifelter ist.
    Wir,
sage ich zu meiner Schwester, können uns nicht beschweren. Wir wurden ernährt,
wurden nicht geschlagen und haben lange Ausbildungen finanziert bekommen, zu
guter Letzt reichte es sogar zu einem bescheidenen Erbe. Was will man mehr.
    Die
freudlose Vernunft meiner Sätze widert mich an, was dazu führt, dass ich eine
Weile den Mund halte. Meine Schwester schweigt ohnehin viel, und Rumen wagt es
nicht, sich in eine Rede zu mengen, die auf Fortsetzung angelegt ist.
    Wir
rollen auf der gut ausgebauten Straße nach Veliko Tarnovo dahin. Sofia haben
wir gerade hinter uns gelassen, auf der linken Seite zeigen sich marode
Industrieanlagen, von denen rötlichgelbe Rauchfahnen in den Himmel wehen. Die
ganze linke Seite ist in einen rötlichgelben Schleier gehüllt, dessen Partikel
im Sonnenlicht giftig glitzern. Es stinkt. Eine lange Reihe Lastwagen befindet
sich vor uns. Rumen Apostoloff rückt den Oberkörper in seinem Sitz zurecht und
packt das Steuer mit Entschlossenheit, vor sich das harte Geschäft des
Überholens, auf der Rückbank eine Frau, die er nicht leiden kann.
    Die
Windrose des Vaterhasses verwirbelt so manches Fünkchen Vaterliebe, sage ich unhörbar
zu meiner Schwester, während wir die roten Staubwolken des Metallurgiekombinats
von Kremikovski, einstmals ein Kind bulgarisch-sowjetischer
Freundschaft, hinter uns lassen.
    Wir
sind Kinder der deutsch-bulgarischen Freundschaft, einer ebenso zweifelhaften,
wie es die bulgarisch-sowjetische war. Eine Freundschaft aus Lügen, Eisen und
Blech, von der nicht viel mehr blieb als verschrottete Panzer und längst
verweste Haufen von Leichen. Unter einem Separathäufchen, als Spät-, nicht als
Kriegsleiche, ist unser Vater verwest.
    Zeige
er sich doch, der Vater, wenn er kann!
    Nichts
da. Noch ist die Zeit nicht reif, mit zartem Hämmern das Bild des Vaters
auszuklopfen. Kristo, sein durchdringend symbolischer Name. Kein elastischer,
gutmütiger Name, der einem Knaben hilft, sich in der Welt umzutun. Was für ein
eiserner Kranz von Bedeutungen auf diesem Kreuznamen lastet. Dieser
Vater-Kristo, damals natürlich noch nicht
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