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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Eingebung. Bedaure, Felícito.«
    »Na dann, da kann man nichts machen.« Er griff nach dem Portemonnaie. »Wo nichts ist, kann man nichts holen.«
    »Wozu willst du mir Geld geben, wenn ich dir keinen Rat geben konnte«, protestierte Adelaida. Aber dann steckte sie den Zwanzig-Sol-Schein, den anzunehmen Felícito sie eindringlich bat, ein.
    »Kann ich mich hier einen Augenblick hinsetzen, im Schatten? Ich bin fix und fertig von der Lauferei, Adelaida.«
    »Setz dich und ruh dich aus, Schätzchen. Ich bringe dir ein Glas schön kühles Wasser, frisch vom Filterstein. Mach’s dir bequem.«
    Während Adelaida nach hinten durchging, betrachtete Felícito im Halbdunkel des Ladens die silbrigen Spinnweben, die von der Decke herabhingen, die alten Regale mit den Tütchen Petersilie, Rosmarin, Koriander und Minze, die Schachteln mit Stecknadeln, Ösen, Schmucksteinen und Knöpfen zwischen Marien- und Christusbildchen und -figürchen, Heiligen und Seligen, ausgeschnitten aus Illustrierten und Zeitungen, einige mit brennender Kerze davor, andere geschmückt mit Rosenkränzen, Skapulieren und Blumen aus Wachs oder Papier. Eben wegen dieser Heiligenbildchen nannte man sie in Piura Santera, aber in all den Jahren, die er sie kannte, war Adelaida ihm nie besonders religiös vorgekommen. So hatte er sie auch nicht ein einziges Mal in der Messe gesehen. Außerdem hieß es, die Pfarrer in den Vierteln hielten sie für eine Hexe. Das riefen ihr manchmal auch die Kinder auf der Straße nach: »Hexe, Hexe!« Aber das stimmte nicht, es war keine Hexerei, was sie tat, anders als die vielen feurigen Cholas aus Catacaos und La Legua, die einen Trank verkauften, mit dem man angeblich die Liebe gewinnen oder verlieren oder ein Unglück heraufbeschwören konnte, oder diese Schamanen aus Huancabamba,die den Kranken, die sie dafür bezahlten, dass man sie von ihren Leiden befreite, mit einem Meerschweinchen über den Körper strichen oder sie in Las Huaringas ins Wasser tauchten. Adelaida war nicht einmal eine professionelle Wahrsagerin. Sie übte ihre Kunst nur ab und zu aus und nur unter Freunden und Bekannten, ohne dafür einen Centavo zu nehmen. Auch wenn sie, sofern diese darauf bestanden, am Ende immer das kleine Geschenk einsteckte, das man ihr gab. Felícitos Frau und seine Söhne (und auch Mabel) machten sich lustig darüber, wie blindgläubig er Adelaidas Eingebungen und Ratschlägen folgte. Er glaubte ihr nicht nur, er hatte sie auch liebgewonnen. Es tat ihm leid, wie einsam und arm sie war. Von einem Ehemann oder von Verwandten war nichts bekannt, aber sie schien zufrieden zu sein mit ihrem Leben einer Einsiedlerin.
    Zum ersten Mal hatte er sie gesehen, ein Vierteljahrhundert war es her, als er auf den Strecken in die anderen Provinzen als Lastwagenfahrer arbeitete, noch vor der Zeit seines kleinen Bus- und Fuhrunternehmens, auch wenn er Tag und Nacht davon träumte. Es geschah bei Kilometer fünfzig an der Panamericana, bei diesen Hüttensiedlungen, wo die Fahrer der Busse, Lastwagen und Sammeltaxis immer anhielten, um eine Hühnerbouillon, einen Kaffee oder ein Schälchen Chicha zu sich zu nehmen und ein Sandwich zu essen, bevor sie sich auf die lange Fahrt durch die glühend heiße Wüste von Olmos machten, eine Weite aus Staub und Steinen ohne das kleinste Dorf, ohne eine einzige Tankstelle oder Werkstatt. Adelaida, die damals schon dieses rotbraune Hemdkleid trug, das immer ihr einziges Kleidungsstück sein sollte, hatte einen der Stände mit Dörrfleisch und Erfrischungsgetränken. Felícito fuhr den Lkw der Casa Romero, vollbeladen mit Baumwollbündeln, in Richtung Trujillo. Er fuhr allein, sein Beifahrer hatte die Fahrt im letzten Moment abgesagt, weil man ihm aus dem Hospital Obrero mitgeteilt hatte, dass es seiner Mutter sehr schlecht gehe und sie jede Minute sterben könne. Er aß gerade eine Maispastete, auf einem Hocker am Verkaufstisch von Adelaida, als er bemerkte, wie die Frau ihn auf eine seltsame Weiseanschaute, mit diesen riesigen Augen und diesem tiefen, stochernden Blick. Was war nur in sie gefahren, che guá? Sie sah erschrocken aus.
    »Was ist mit Ihnen, Señora Adelaida? Warum sehen Sie mich so an?«
    Sie sagte nichts. Sie stand nur da, die großen Augen auf ihn geheftet, und machte ein so angewidertes oder entsetztes Gesicht, dass ihre Wangen einsanken und die Stirn sich kräuselte.
    »Fühlen Sie sich nicht gut?«, fragte Felícito noch einmal, ihm war ganz unbehaglich.
    »Steigen Sie nicht ein, besser
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