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Ein Clochard mit schlechten Karten

Ein Clochard mit schlechten Karten

Titel: Ein Clochard mit schlechten Karten
Autoren: Leo Malet
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nicht übersetzen läßt. Vielleicht
mögen es die Leute aus dem Quartier auch, wenigstens die Älteren, weil sich
dort noch etwas vom Dunst der Vergangenheit atmen läßt. Es gehörte einem
ehemaligen Box-Weltmeister. Eben jenem Monsieur Routis ,
der 1928 Titelträger im Federgewicht wurde. Ein Jahr später war er seinen
Meistergürtel wieder los, aber, was er sich im Lauf der Jahre zusammengeboxt
hatte, reichte zu einer gutbesuchten Kneipe im Schatten der oberirdischen
Metro-Station Grenelle , die nach dem Kriege in Bir-Hakeim umbenannt wurde. Dieses Bir-Hakeim war ein dem berühmten Tobrouk vorgelagerter
Wachposten, den die französische Armee lange gegen die heranrückenden Truppen
Rommels gehalten hatte.

    Aber vom Krieg im
nordafrikanischen Wüstensand war damals schon nicht mehr die Rede, als Nestor
Burma bei seinem Streifzug durch das 15. Arrondissement in Routis ’
Lokal an der Ecke der Rue Nélaton eine Pause
einlegte. Eher von den Arabern und den Unruhen im damals noch zum französischen
Mutterland zählenden Algerien.
    1958 — Léo Malet hatte seinen
Roman ein Jahr zuvor abgeschlossen — geriet Frankreich in seine bis dahin
schlimmste Krise der Nachkriegszeit. General de Gaulle übernahm die Macht und
rief die fünfte Republik aus. Im gleichen Jahr wurde der Vélodrome d’Hiver gegenüber von Routis ’
Bistro abgerissen. Der Vel d’Hiv ’,
wie ihn jeder in Paris nannte, die Winterbahn, war ebenso legendär wie etwa der
Berliner Sportpalast. Eine Hochburg der Sechs-Tage-Radrennen und großer
Boxkämpfe. Freilich war der Vel d’Hiv mit einem Makel belastet, den er nie mehr loswurde.
    Im Juli 1942 trieben die
Schergen des Vichy-Regimes Tausende von Pariser Juden in der Sportarena
zusammen. Ein Auffanglager für den späteren Abtransport in deutsche
Konzentrationslager. Noch heute gilt der Vel d’Hiv als düsteres Symbol der Besatzungs-Ara. Als der veraltete Vélodrome der
Spitzhacke zum Opfer fiel, war dies nur ein Anfang. Die Stadtplaner verordneten
dem linken Seine-Ufer eine Radikalkur. Einen kühnen Kahlschlag, der ganze
Häuserzeilen verschwinden ließ. Die Rue Payen beispielsweise mit ihrem schmuddeligen Hotel, in dem Demessys schäbig inszeniertes Rendesvous ein tragisches Ende
fand, ist heute auf keinem Stadtplan mehr zu finden.
    Paris mußte sich Luft
verschaffen, endlich einmal durchatmen. Die Baumeister der Könige hatten der
Stadt einen Gürtel aus Stein umgelegt und ihn immer fester zugeschnürt. Ein
nahezu perfektes Spitzelsystem des Geheimdienstes hielt das zunehmend
aufmüpfige Volk unter Kontrolle. Paris war das Herzstück der Macht, der Puls
durfte nicht allzuschnell schlagen. Die Große
Revolution von 1789 brachte zwar einige in Stein gehauene Bollwerke der
Unterdrückung zum Einsturz, aber erst ein dreiviertel Jahrhundert später schlug
der kaiserliche Präfekt Haussmann tiefe Schneisen in das chaotische Gewirr aus
verwinkelten Straßen und Gäßchen . Nicht allein aus
der Einsicht heraus, die Stadt müsse schon aus hygienischen Gründen entrümpelt
werden, sondern auch aus strategischem Kalkül. Die breiten Boulevards, die sich
fortan quer durch die Innenstadt zogen, waren ein ideales Aufmarschgelände für
die Truppen des Regenten.
     

     
    Haussmann hatte indessen die
Pariser offenbar so verschreckt, daß zu Zeiten der lange währenden Dritten
Republik das Stadtbild kaum eine kosmetische Korrektur erfuhr. Da Paris während
der Weltkriege von Bombenangriffen weitgehend verschont blieb und letztendlich
auch, allen Drohungen zum Trotz, nicht brannte, blieb
es dem engagierten de-Gaulle-Nachfolger Pompidou Vorbehalten, abermals reinen
Tisch zu machen.
    Pompidou nahm sich vor allem
die Rive Gauche vor, das
linke Seine-Ufer. Stadtviertel, die zu Haussmanns Zeiten noch fast zur Vorstadt zählten und teilweise dörflichen Charakter
trugen. Das 13. Arrondissement (siehe Léo Malet/„Die Brücke im Nebel“), die
Gegend um den Montparnasse (siehe Léo Malet/“Die
Ratten im Mäuseberg“) und eben die Seine-Front im 15. Bezirk.
     
    Wer die Seine vom Marsfeld aus flußaufwärts begleitet, stößt hinter dem Pont de Bir-Hakeim auf zweieinhalb Kilometer Länge nur noch
vereinzelt auf Spuren der Vergangenheit. Die elenden Steinbaracken, die sich
früher um das Werksgelände von Citroën gruppierten, sind abgetragen, Citroën selbst, Vorjahren schon ins Schlingern geraten, hat längst
den Rückwärtsgang eingelegt und seine Produktionsstätten in die Außenbezirke
der Stadt verlagert. Ein
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