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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben
Autoren: P Enquist
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allein auf einer Seite. Sonst nichts.
    Und plötzlich ging es so leicht. Er schrieb und schrieb, Nacht auf Nacht, es war der Roman über Eeva-Lisa und seine Mutter und ihn selbst und die vertauschten Kinder und den Totjungen. Auf einmal konnte er schreiben. Er hatte ja geglaubt, er hätte sich die Fähigkeit zu schreiben weggesoffen. Dass sie fort war, für immer, aber jetzt fühlte er, dass er schrieb wie früher, es war wie ein Wunder. Der Graf schnarchte schwer, aber er war zurück in dem Dorf dort oben und schrieb über das, was schmerzhaft war, aber auch ein bisschen lustig, und er konnte schreiben.
    Und als er das erkannte, wusste er plötzlich: Er war gerettet.
    Es gab keine Vernunft darin. Aber was für eine Vernunft gab es in dem, was geschehen war. Und während des Monats in Kongsdal schrieb er das erste Drittel des Buchs. Es war ein Buch über die Auferstehung. Und als er das erkannte und wusste, dass er jetzt wieder schreiben konnte, da wurde ihm ein zweites Leben geschenkt.
    Februar 1990. Seitdem sind achtzehn Jahre vergangen.
    Seitdem hat er keinen Tropfen Alkohol getrunken.

Wie sollte er es nennen? Ein Wunder?
    Am letzten Tag in Kongsdal, als er von den Kameraden den Tropfen bekam und sie alle weinten und einander umarmten, erzählte er ihnen, wie er sich nennen wollte .
    Er wollte sich Totalabstinenzler nennen. Das verblüffte sie, also die Bezeichnung als solche, weil es zur Methode gehörte, dass man sich als trockenen Alkoholiker bezeichnete. Aber weil sie einander alle liebten und respektierten und wussten, dass es am Ende nur der kleine Rest von unzerstörbarem Menschen in ihnen war, der die Wiederauferstehung schaffen würde, und dass man dann das Recht hatte, sich selbst zu benennen, begegneten sie seinem Beschluss mit Respekt. Er war eines Nachts darauf gekommen, als er den Toshiba zugeklappt hatte und der Graf geschnarcht hatte und er nicht gleich einschlafen konnte.
    War er nicht eingeschriebenes Mitglied im Heer der Hoffnung, der Jugendabteilung der Vereinigung Blaues Band gewesen? Einer Abstinenzlervereinigung für Kinder, in Sjön übrigens, unter dem Vorsitz von Volksschullehrerin Maja Enquist. Als er mit acht Jahren hineingewählt wurde, hatte er da nicht ein lebenslanges Enthaltsamkeitsgelübde abgelegt? Und schon nach einem halben Jahr sein erstes politisches Ehrenamt angenommen, als stellvertretender Kassenwart der Sektion, die im übrigen aus dreizehn Mitgliedern bestanden hatte. Er hatte seine Mutter gefragt, ob es sich nicht um ein zu geringes Amt handele, er könne doch Sekretär oder stellvertretender Vorsitzender werden; aber sie hatte erklärt, dass er als Lährarinnjong darauf achten müsse, nicht favorisiert zu werden, so dass geredet wurde. Danach habe er, meinte sie, gute Möglichkeiten zu avancieren, wenn er sein Gelübde nicht brach.
    Dort hatte er angefangen. Und jetzt hatte es zwar eine lange Unterbrechung gegeben, und in gewissem Sinne hatte er wohl dieses Abstinenzgelübde gebrochen, aber soweit ihm bekannt, war er nicht ausgeschlossen. Und noch war Zeit, auf der Leiter von Ehrenämtern, auf deren unterster Sprosse er noch stand, nach oben zu klettern.
    Es war nicht zu spät. Und Mitglied im Heer der Hoffnung, Totalabstinenzler, war er immer noch.
    Als Kapitän Nemos Bibliothek im Herbst 1991 herauskam, sagte er, dass dies der letzte Roman sei, den er geschrieben habe.
    Wie einfältig. Aber er glaubte das wirklich. Die Umstände waren ja so ungewöhnlich, angefangen beim Wendepunkt in jener Nacht im Schnee auf Island bis zu dem Augenblick, als ihm klar wurde, dass er noch schreiben konnte und dass das Buch ihm das Leben retten würde.
    Aber nach Kapitän Nemos Bibliothek kam die Essaysammlung Die Kartenzeichner , und danach folgten die Romane Der Besuch des Leibarztes , Lewis Reise und Das Buch von Blanche und Marie , das Kinderbuch Großvater und die Wölfe , und vier Theaterstücke. Es war, als habe sich etwas geöffnet, das viele Jahre lang verschlossen gewesen war. Es ließ sich nicht aufhalten. Er schrieb und schrieb.
    Und nun dieses Buch, das jetzt schließlich fertig ist.
    War es wirklich so, dass Kapitän Nemos Bibliothek ihm das Leben gerettet hatte?
    Er war sich wohl nicht sicher, was denn sein wirkliches Leben gewesen war. Einen Teil rührte er an, anderes nicht. War es überhaupt ratsam, sich umzudrehen, wie Lots Weib ? Sollte er sich, wie einst die Mutter, ans Ufer von Granholmen setzen und einen ganzen Sommer lang übers Wasser blicken? Oder sich in
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