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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben
Autoren: P Enquist
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Leben. Kann er noch zornig werden?
    Was bleibt ihm noch von seinem Leben?

Am Abend des siebten Tages.
    Er geht den Korridor entlang, wendet, geht rastlos und sehr langsam hin und zurück. Wie das kleine Paar in der M 87, nachdem ihre Ehe zerstört worden war. Treu bis in die Vernichtung. Fliegende Bekassinen suchen Ruhe auf weichen Graspolstern . Er steigt die Treppe ins Obergeschoss hinauf, stellt sich ans Fenster und blickt hinaus. Es ist schwarze Nacht. Fliegende Bekassinen suchen Ruhe auf weichen Graspolstern. Er fragt sich, wie es dem alten Setzer mit seinem Gedicht ergangen ist. Es gab ja keine Statistik darüber, wie es nachher ging. Mehr als man zugeben wollte, gingen drauf. Eine von den Kameraden in der M 87, eine sehr bekannte Schauspielerin, beging Selbstmord, als sie herauskam. Zwei Monate später.
    Scheue Bekassine fand keine Ruhe. So kann es gehen.
    Plötzlich sieht er, durchs Fenster, einen kleinen Lichtpunkt in der Dunkelheit. Es ist tatsächlich ein Licht. Es sieht aus wie ein Fenster, nein zwei, als ob es dort ganz hinten ein Haus gäbe. Unerhört weit weg, mindestens zwei Kilometer. Eigentümlich, er hat es bisher nicht gesehen. Er geht hinunter ins Erdgeschoss, blickt dort aus dem Fenster. Kein Licht. Absolut nachtschwarz. Er geht wieder nach oben, sieht wieder weit weit dort drüben durchs Fenster das Licht.
    Aha. Es liegt am Niveauunterschied. Man kann das Licht nur aus dem Obergeschoss sehen. Dort liegt ein Haus.
    Er setzt sich in den Kaffeeraum und überlegt scharf. In der Nacht liegt er lange wach und starrt an die Decke. Am Morgen steht er um sieben Uhr auf und trinkt wachsam seinen Kaffee. Er betrachtet seine Pantoffeln. Man hat den Insassen ihre Schuhe abgenommen, damit sie nicht hinausgehen in den Schnee.
    Er folgt dem Unterricht mit intensivem und positivem Gesichtsausdruck und sagt etwas Einsichtiges auf Schwedisch, um sie zu beruhigen. Die Kameraden sehen fragend aus. Es riecht. Der Schnee ist schmutzig. Um zwei Uhr bricht die Dunkelheit herein. Irgendwann muss man die Verantwortung für sein Leben übernehmen.
    Ich tue es heute nacht .

Einige Minuten vor elf Uhr nachts war es ruhig. Die meisten schliefen, drei Isländer spielten Karten im Korridor, unter ihnen das Monster, und die Bewachung beschränkte sich auf einen Mann in der Anmeldung.
    Schuhe hatte er ja nicht, aber die Socken fühlten sich warm an und würden sicher für die vielleicht zwei Kilometer bis zum Haus jenseits der Ebene ausreichen. Fröstelfüße hatte er nicht. Er ging ins Obergeschoss und peilte die Richtung an. Dort unten am Boden würde er den ersten Kilometer das Licht kaum sehen, aber das Risiko musste er in Kauf nehmen, ebenso, dass sie dort drüben ins Bett gingen und das Licht ausmachten. Wenn denn dort Menschen wohnten.
    Er ging langsam zur Haustür, die, wie er wusste, nicht verschlossen war. Er schob die Tür auf – und lief.
    Es war lange her, dass er Lauftraining gemacht hatte, sehr lange; das war in seinem früheren Leben gewesen.
    Die Luft war kalt, vielleicht drei, vier Grad minus, der Schnee unter den Socken fühlte sich trocken an, und er war sicher, dass sie nicht nass werden würden. Es wuchs offenbar Gras unter dem Schnee. Die Schneedecke betrug vielleicht zehn Zentimeter. Er atmete ökonomisch und verlangsamte seine Schritte auf Joggingtempo, und schon nach hundert Metern tauchten die Lichter auf. Er hatte recht gehabt. Die Lichter schienen jedoch unendlich weit entfernt zu sein, vielleicht waren es mehr als zwei Kilometer, aber jetzt hatte er die Richtung.
    Warum konnte er nicht frei werden vom Alkoholteufel.
    Er wusste ja genau, wie das Leben sein sollte, war aber in Träumen und im Schlaf und im nicht tun hängen geblieben. Jetzt tat er etwas, er lief. Das war ja was. Damit hatten die Teufel nicht gerechnet , dachte er, ohne sich klar machen zu wollen, wen er meinte. Er hatte sich einfangen lassen und sich darüber beklagt und gejammert, aber es gab einen Punkt, an dem die Zeit des Jammerns vorbei war und er sich entscheiden musste. Das hatte er jetzt getan, er lief. Es war merkwürdig, er wurde nicht müde. Es war, wie auf einem Waldpfad mit Nadeln zu laufen, und er fühlte sich jung und leicht, und er hatte sich entschieden, und alles war möglich.
    Hinter ihm bei der Anlage schaltete ein Auto die Scheinwerfer an und schwenkte herum, der Lichtkegel brach durch das Dunkel wie ein Suchscheinwerfer, aber es war zu spät. Sie würden ihn nicht aufhalten können. Ein paar Hupsignale von dem
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