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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River
Autoren: Edith Wharton
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seine eigenen Erlebnisse mit Mrs Pulsifer und wurde von Ekel erfasst.
    « Und dir musste ich es als Erstem erzählen – begreifst du das, Vance? Weil es mir vorkam, als sei das Leben zu jenem Abend zurückgesprungen, an dem du sagtest – o Vance, ich könnte jedes einzelne deiner Worte wiederholen! Ich wusste, wie sehr du mich damals geliebt und gehasst hast – dennoch war ich gebunden. Doch jetzt ist alles vorbei, und ich bin frei, frei, frei!»Sie sprang auf die Füße.«Wie kindisch muss ich dir vorkommen! Dabei bin ich älter als du – und du lässt mich weiter all diesen Unsinn plappern …»
    Er hatte mit aller Kraft versucht, aufmerksam zuzuhören, doch was sie sagte, ertrank in einer Woge von Glück. Seltsam, wie schwer es ihm fiel, den Worten eines Menschen zu folgen, der ihm so nahe war, dass es eigentlich keiner Worte bedurfte. Er wunderte sich, dass sie dies nicht auch so empfand – dass ihr die Frühlingssonne und das gemeinsame Dasitzen nicht ebenso genügten wie ihm. Er ertappte sich bei der Überlegung, ob sie nicht doch einen kleinen Ausflug in den Wald machen sollten – und dann blieben seine Gedanken merkwürdigerweise an den langen, schlanken Händen auf ihren Knien hängen. Vielleicht hatten in seinem Kopf zu lange Dunkelheit und Verwirrung geherrscht, sodass ihn die plötzliche Klarheit nun blendete und er mehr Zeit brauchte, um sich zu ihr zurückzutasten. Aber nein – das eigentliche Problem bestand darin, dass es bei den meisten Menschen so lange dauerte, bis sie das Wesentliche entdeckten; dass sie kostbare Minuten damit vergeudeten, Müll beiseitezuräumen, um zum Kern der Dinge vorzustoßen. Frauen waren wohl immer so – aber was machte das schon? Bald würde sie ihn verstehen, würde aufhören zu reden und einfach ihre Hand in der seinen ruhen lassen.«Es tut so gut, hier mit dir zu sitzen», sagte er.«Ich hätte es nie für möglich gehalten.»
    « O Vance …»
    Im Lauf der Zeit gäbe es gewiss tausend Dinge, die er ihr erzählen musste, doch jetzt konnte er nur an diesen Frühlingswald denken, an die Fünfte Symphonie und an die Dämmerung über dem Thundertop …
    Sie schien zu verstehen. Sie setzte sich wieder neben ihn und überließ ihm ihre Hand. Nach einer Weile zog sich die Sonne von der Veranda zurück, und die kühlere Nachmittagsluft senkte sich herab. Sie schauderte und stand auf.«Es wird bald dunkel – ich muss gehen.»
    Er sah sie verwundert an; es verwirrte ihn, dass die Zeit noch immer ein Recht über sie haben sollte.«Warum kannst du nicht bei mir bleiben?», fragte er.
    « Hierbleiben – jetzt?»Sie trat einen Schritt zurück und blickte erst ihn an, dann über seine Schulter auf das kleine Haus.« O Vance – begreife doch, was ich will. Wenn wir nur wieder zusammen in The Willows sein können! Ich wäre zufrieden, wenn ich dir so wie früher helfen könnte. Weißt du noch, was wir zusammen alles entdeckt haben, als du ‹Anstatt› geschrieben hast? Du sagtest, du wärst nie auf all diese Ideen gekommen, wenn wir nicht darüber gesprochen hätten. Schau, das wünsche ich mir … dass du wieder nach The Willows kommst, jetzt, wo es mir gehört, und ich dir helfen darf. O Vance, sag Ja – sag, dass wir zurückgehen können und von vorn beginnen …»Mit einer flehentlichen Geste neigte sie sich ihm zu.«Verstehst du nicht, dass ich nur das von dir will, was du mir geben kannst, ohne jemand anderen zu verletzen?»
    Er schwieg und versuchte, ihre Worte zu verstehen. Doch es war noch immer schwierig – sie war ihm zu nahe, und ihre Nähe überflutete ihn.«Du begreifst nicht», begann er.
    Sie unterbrach ihn leidenschaftlich:«Doch, doch. Wie kannst du nur glauben, dass ich nicht begreife. Ich weiß doch, dass es mit dir anders ist – vielleicht immer anders sein wird. Ich will doch nur, dass wir versuchen, unsere Freundschaft zu erneuern … dass du dir helfen lässt wie früher … Meinst du nicht, dass ich das Laura Lou begreiflich machen kann?»
    Der Klang dieses Namens riss ihn jählings aus seiner Trance.« Laura Lou? Die ist tot», sagte er.
    Halo Tarrant tat einen Schritt zurück und starrte ihn in stummer Bestürzung an. Dann begann sie zu zittern. Ihr Gesicht verzog sich, und sie hob die Hände, um es zu verbergen. Vance sah, dass sie weinte, und bald kam zu den Tränen ein hörbares Schluchzen. Es war furchtbar für sie, er merkte, dass sie entsetzt war und nicht wusste, wie sie ihrem Entsetzen Ausdruck verleihen sollte. Wahrscheinlich nahm sie
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