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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River
Autoren: Edith Wharton
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Frühling und weil ich dich gefunden habe … Soll ich mich zu dir setzen? Du brauchst deine Pfeife nicht wegzuschmuggeln – bitte nicht!»
    Er zog die Pfeife hervor und zündete sie wieder an.«Warte, ich bring dir ein Kissen oder so etwas.»Er holte eine Decke vom Sofa und legte sie auf die oberste Stufe, dann setzten sie sich nebeneinander hin.«Es sitzt sich gut hier in der Sonne», sagte er mit unsicherer Stimme.
    « Ja, es tut gut.»
    Ein paar Minuten saßen sie schweigend da, und er spürte, dass das tiefe Wohlbehagen, das seine Seele erfüllte, auch sie durchdrang.
    « Du sagst, du hättest mir viel zu erzählen», begann er schließlich, nur widerstrebend das Schweigen brechend.
    « Ja, viel.»Sie schwieg wieder und blickte ihn mit einem kleinen Lächeln an, halb scheu, halb herausfordernd.«Aber es ist eine lange Geschichte – und vielleicht verstehst du sie am Ende gar nicht.»
    Er schwieg, wusste nicht, was er sagen sollte, und fragte sich, warum sie einander überhaupt etwas erzählen mussten und sich nicht einfach in der Fülle des gegenseitigen Verstehens sonnten. Aber sie erwartete eine Antwort.«Warum meinst du, ich würde sie nicht verstehen?»
    Sie lachte nervös.«Weil ich mir so sehr wünsche, dass du sie verstehst.»
    « Dann versuch es.»
    Sie stand auf, spazierte hinüber unter die Apfelbäume, kam zurück und setzte sich wieder neben ihn.«Vance – du erinnerst dich an jenen Abend, als du mir die ersten Kapitel von ‹Zaster› zum Lesen gegeben hast?»
    Er nickte.
    « Und du weißt noch, was du danach gesagt hast – und was ich gesagt habe?»
    Er nickte wieder.
    « Als ich dich an jenem Abend weggehen sah, dachte ich, ich ertrüge es nicht.»
    « Nein …»
    Sie wandte sich zu ihm um.«Du auch?»
    « Ja.»
    « Oh, dann – dann kann ich es dir doch erzählen.»Er bemerkte, mit jenem sonderbar distanzierten Blick, den er in gefühlvollen Momenten manchmal bekam, dass ihre Lider leicht zitterten, wie bei manchen Leuten die Lippen, wenn sie aufgeregt sind. Sie schien sich dessen bewusst zu sein, denn sie drehte den Kopf zur Seite, ohne etwas zu sagen.
    « Du wolltest mir etwas erzählen», erinnerte er sie.
    Sie blickte ihn wieder an, freundlich, aufmerksam, als tasteten ihre Augen nach einem Weg für ihre Worte.«Es hat vor so langer Zeit angefangen – an dem Tag, an dem wir zum Thundertop hinauffuhren. An diesem Tag habe ich mich entschlossen, Lewis zu heiraten.»Sie hielt inne. Zum ersten Mal erwähnte sie Vance gegenüber ihre Ehe. An dem Abend, als er ihr eigentlich Vorwürfe machen wollte, weil sie in Laura Lous Zimmer vorgedrungen war, hatte er ihr all sein heimliches Elend gebeichtet. Sie kannte die ganze Geschichte seiner Ehe, aber nie war ihr eine Anspielung auf die ihre entschlüpft, und Vance hatte angenommen, dass sie das Thema mied, weil jede Vertraulichkeit seine Beziehung zu ihrem Mann kompliziert hätte.
    Kurz darauf fuhr sie fort:«Aber was soll’s? Die Menschen tun, was sie tun müssen – oder tun zu müssen glauben. Es hängt mit meiner Familie zusammen, doch das ist eine zu lange Geschichte. Lewis zeigte sich meiner Familie gegenüber großzügig zu einem Zeitpunkt, wo ich es nicht sein konnte, und das band mich an ihn … verstehst du das?»
    Vance verstand. Er dachte an die Großzügigkeit von Laura Lou, die ihn mit allem, was sie besaß, überhäuft und damit an sich gebunden hatte.
    « Das Leben ist verworren und verschwenderisch», fuhr sie fort,«zumindest kommt es einem zu dem jeweiligen Zeitpunkt so vor. Oft wusste ich, dass ich für Lewis völlig nutzlos war, und glaubte, dir helfen zu können, wenn ich nur frei gewesen wäre. Und jetzt hat sich mit einem Mal alles geändert …»Sie legte ihre Hand auf die seine.«Könnte ich dir noch immer helfen?»
    « Ja.»
    « Vance!»Sie saß schweigend da, und er legte seine freie Hand auf die ihre. Endlich begann sie zusammenhängender zu erzählen und berichtete von zwei fast gleichzeitigen Ereignissen in ihrem Leben – dem plötzlichen Tod der alten Miss Lorburn vom Stuyvesant Square, die ihr The Willows hinterlassen hatte, dazu mehr Geld, als sie je zu hoffen gewagt hatte, sowie der Entdeckung, dass ihre eheliche Verbindung Tarrant ebenso lästig geworden war wie ihr. Diese Nachricht kam für Vance nicht überraschend; in der Redaktion der«Neuen Stunde»hatte er neben allerlei Witzeleien über den Pulsifer-Preis für Erstlingsromane auch eine Menge Klatsch über die Stifterin und Tarrant gehört. Vance dachte an
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