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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River
Autoren: Edith Wharton
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Morgendämmerung. »Ein solcher Satz liegt zu diesem Zeitpunkt außerhalb von Vance’ sprachkünstlerischem Vermögen, aber er leistet an dieser Stelle des Romans etwas Besonderes: Die Atmosphäre wird zum Greifen dicht und versinnlicht die erotisch sich aufladende Spannung, die zwischen der Natur und den beiden ungleichen, doch geistesverwandten jungen Menschen entsteht.
    Wie hier durchziehen neben den sozialkritischen, satirischen oder karikierenden Kapiteln – die vornehmlich in Vance’ Heimatort und in New York spielen – romantische Passagen das ganze Buch. Auf Coleridge als eine romantische Leitfigur wurde bereits verwiesen. Doch erklärt sich so auch der Romanschluss? Nach Laura Lous Tuberkulosetod finden Vance und Halo überraschend noch zueinander … Besteht hier nicht akuter Kitschverdacht? Man lese den letzten Satz des Romans genau:«Und als er schließlich ihren Arm nahm … überlegte er, ob sich in den entscheidenden Augenblicken wohl immer ein Schleier aus Unwirklichkeit zwischen ihn und den ihm liebsten Menschen senken würde, ob sich ein Schöpfer erdachter Wesen unter den wirklichen immer einsam fühlen musste.»Der Schriftsteller als Gefangener seiner eigenen Imagination und als befangen gegenüber anderen, tiefer in der Wirklichkeit verwurzelten Menschen – damit spricht die Erzählerin eine Problematik an, die jeglichen Kitschverdacht nicht nur aufhebt, sondern auflöst. Handelt es sich dabei doch um die existenzielle Frage nach der Möglichkeit einer«normalen»Lebensführung von Künstlern, die sich dem Fiktiven verschrieben haben. Man darf davon ausgehen, dass Halo, die sich immer den«noch nicht geschriebenen Roman», das Unerhörte im Kunstwerk wünscht, gerade dafür Verständnis aufbringen wird.
    Wharton war die weitere Entwicklung dieser Beziehung zwischen Halo und Vance so wichtig, dass sie diese zum Thema des bereits mehrfach genannten Folgeromans machte. The Gods Arrive (1932), von ihr zunächst«der neue Hudson»genannt, belegt, wie stark ihre frühe an Goethe, Wagner und Nietzsche angelehnte Beschäftigung mit der Problematik des Mythos und der Präsenz der Götter und Götzen in der Gegenwart nachwirkte. Denn in diesem Roman widerstreiten in Vance’ Sprachkunst das Dionysische mit dem Apollinischen, die Schreibekstase mit der nüchternen Analyse, die Halo phasenweise ihre Beziehung zu Vance völlig intellektualisieren lässt. Das geht in The Gods Arrive so weit, dass Halo in Vance’ Büchern phallische Ersatzobjekte sehen wird, wobei diese Götzen oder Götter, die da im Leben der beiden ankommen, Kunst, Eros und falsche Erwartungen, sie von tieferem Glauben an ein Drittes ablenken. Bezeichnend hierfür eine Szene zwischen Vance und Halo in Chartres, wo Vance«seiner»Halo sagen wird, dass er nicht sehen könne, was sie von ihm zu sehen verlange.
    Nach der Veröffentlichung von Ein altes Haus am Hudson River gestand Wharton einer Freundin (Brief an Elisina Tyler vom 1. Januar 1930), wie wichtig ihr gerade diese Komposition gewesen sei. Wir erfahren darin auch, dass erste Entwürfe zu diesem Roman bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichen, in thematischer Hinsicht bis in die Welt ihrer Jugend. Das wiederum bedeutet, Ein altes Haus am Hudson River umspannt ihre gesamte Schriftstellerexistenz, bietet die Essenz ihres Denkens über das Schreiben und das Dasein des Künstlers. Dieser Roman wurde Whartons großes Bekenntnis zum Schönen, aber auch zu seinen lebensgeschichtlich bedingten Brechungen in einer Epoche, die ihre Richtung verloren zu haben schien. Dieses Bekenntnis zum Schönen spiegelt sich auch in Vance’ Bemühung,« aus den Millionen Fäden des Großstadttreibens eine Geschichte zu weben», etwas Schönes, Wertvolles zu destillieren, womöglich einen Transzendenzbezug zu schaffen, der den naiven Evangelismus seiner Großmutter weit hinter sich lässt. Er hat gelernt, die Gegensätze miteinander zu vereinen, um dadurch seiner Kunst wirkliches Profil zu geben. Edith Wharton verfügte längst über eine solche Konturierung – in ihrer Erzählkunst, ihrem politisch-sozialen Engagement und in der Art, wie die Erfahrungen von seelischen und kulturellen Gegensätzen sie geprägt hatten. Ihre umfassende Neuentdeckung ist Leserpflicht und -gewinn.
    Rüdiger Görner

EDITORISCHE NOTIZ
    Der Originaltitel dieses 1929 erstmals veröffentlichten Romans lautet Hudson River Bracketed . Edith Wharton verweist damit auf ein Werk des amerikanischen
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