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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River
Autoren: Edith Wharton
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Elias Canettis Die Stimmen von Marrakesch vorwegnehmen.
    Ihre Liebe zu Frankreich, ihrer Wahlheimat – sie fand den ihr gemäßen symbolischen Ausdruck in Whartons Aufnahme in die französische Ehrenlegion (1916) –, erreichte vor allem im Ersten Weltkrieg eine ganz eigene Dimension, als Wharton geradezu zur Kriegsberichterstatterin wurde. Sie scheute Besuche an der Front nicht; verfasste Artikel über Artikel, um Amerika zum Kriegseintritt auf alliierter Seite zu bewegen. Sie schilderte anschaulich, wie der Krieg Menschen entwurzelte, sie ihrem Schicksal ungeschützt aussetzte ( The Book of the Homeless , 1917). Es ging ihr darum, das Wesen des Französischen, die Essenz dieser Kultur zu verstehen, jene für sie so anziehende Mischung aus Vernunft und Leidenschaft; darüber geben ihre Essays French Ways and Their Meaning (1919) beredt Auskunft.
    In sechs Biografien hat man seit 1975 versucht, das Leben der Edith Wharton auszuleuchten, wobei jene von R.W.B. Lewis (1975) und Hermione Lee (2007) die eindrucksvollsten Lebensbeschreibungen bieten. Doch erst als das Kino die Autorin für sich entdeckte – zu denken ist hier an die Verfilmungen der Romane The Children durch Tony Palmer mit Geraldine Chaplin und Ben Kingsley (1993), Ethan Frome mit Liam Neeson (1989) und vor allem The Age of Innocence durch Martin Scorsese (1993) –, erinnerte sich ein breiteres Lesepublikum dieser brillanten Stilistin und erzählenden Choreografin, die einen untrüglichen Sinn für die Bewegung ihrer Figuren in Handlungszusammenhängen hatte. Man verstand nun neu, weshalb sie Henry James so faszinieren konnte, nämlich durch ihren emanzipierten Ästhetismus, wohlgemerkt nicht Ästhetizismus; fragte sie doch mittelbar oder ganz direkt stets nach der Vermittelbarkeit des Schönen, seiner Kommunizierbarkeit im Zeitalter der Entfremdung und der immer drastischer gewordenen Gegensätze in der modernen Gesellschaft. Mit James teilte sie auch die Skepsis gegenüber einer Erzähltechnik, die sich des stream of consciousness als eines Hauptmerkmals bedient. Sie arbeitete stattdessen mit den Gegebenheiten des menschlichen Lebens, den seelischen und sozialen Spannungen, Gefühlen, Erwartungen und Enttäuschungen, die Wharton selbst «les données »genannt und als das eigentliche Material des Schriftstellers bezeichnet hatte. So führte eine ihrer Sammlungen mit Aufzeichnungen, um 1900 entstanden, ein Materialienbuch für künftige Romane, den Titel Donnée Book . Henry James übrigens empfahl ihr, das Motiv und Erzählthema New York nie aus den Augen zu verlieren. Keiner Empfehlung sollte sie danach gründlicher Folge leisten; denn sie wurde zur novellistischen Rhapsodin des alten und neuen New York und damit eines urbanen Bewusstseins im Umbruch.
    Gegensätze sozialer wie ästhetischer Art finden sich ausgeprägt in Whartons Schaffen des letzten Lebensjahrzehnts: in ihren Erinnerungen A Backward Glance (1934), den Reminiszenzen aus dem alten New York, in den letzten großen Romanen, vor allem Hudson River Bracketed (1929) – aus dem des unübersetzbaren Originaltitels wegen in dieser deutschen Erstausgabe Ein altes Haus am Hudson River wurde – und The Gods Arrive (1932), sowie in neuerlichen Kurzgeschichten. Hatte der Erste Weltkrieg ihr einen journalistischen Schub gegeben, um als Schriftstellerin nicht ganz hilflos dabei zusehen zu müssen, wie ganze Heere einander in der Kriegsmaschinerie zerfleischten, so veranlasste sie die Weltwirtschaftskrise von 1929 zu einem umfassenden Erinnerungsprojekt an das Unwiederbringliche ihrer eigenen Anfänge. Dieses Erinnern orchestrierte sie vielstimmig: Sie verteilte es auf verschiedene Erzählfiguren. Das erklärt, weswegen gerade in ihrem späten Romanschaffen selbst vermeintliche Nebenfiguren über eine unverwechselbare Prägung verfügen. Man kann darin einen Ausdruck von Whartons Bekenntnis zur Humanität erkennen, in dem Sinne nämlich, dass für sie jedes Individuum zählte. Einige prominente Beispiele aus unserem Roman mögen dies verdeutlichen, George Frenside etwa, der Literaturkritiker, den die Natur mit einem«grübelnden Sokrates-Kopf»ausgestattet hat. Sein ausgeprägtes Kritikvermögen überträgt sich auf Héloïse, die Tochter des Hauses Spear, in dem er vornehmlich verkehrt, und das in einem Ausmaß, das sich sogar als abträglich für ihr Gefühlsleben erweisen wird. So gehören Frensides Brille und«nie verlöschende Zigarre »zu Héloïse’ frühesten Erinnerungen. Für die
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