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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River
Autoren: Edith Wharton
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Beschreibung Frensides genügt der Erzählerin eine knappe Seite; doch fällt sie so nachdrücklich aus, dass der Leser durchaus nachvollziehen kann, weshalb gerade diese Figur mehr Wirkung auf Héloïse Spear ausüben konnte als deren Eltern. Frensides«kühler, klassifizierender Blick»zerlegt alles, was er sieht. Er nimmt die Welt als analytischer Ästhet wahr; denn für ihn haben die Dinge, die Landschaft, der Sonnenuntergang nur dann eine Bedeutung, wenn sie durch einen Künstler hervorgebracht wurden. An ihm übt sich Héloïse schon früh am Charakterisieren, nannte sie ihn doch«ein Feuer, das alles wärmt, nur nicht sich selbst». Von ihm lernt sie aber auch, wie man effektiv kontert:«Ich wärme nicht, ich versenge.»
    Eine weitere, als Kontrast zu Héloïse auftretende Nebenfigur ist ihr Bruder Lorry, ein durch seinen eigenen Zynismus gelähmter Taugenichts, der gern in Paradoxa redet, anderen (rhetorische) Fallen stellt, aber sich auch über den Schönheitskult der ach so feinen Gesellschaft lustig macht. Er sieht (seine) Welt an einer«Schönheitsorgie»ersticken und plädiert dafür, Bäume zu fällen, damit man die hässlichen Kamine einer Zementfabrik besser sehen könne. Überhaupt die Brüder in diesem Roman: Upton Tracy, Vance’ künftiger Schwager, wirkt ähnlich undurchsichtig wie Lorry; ein Gärtner ohne Passion, scheinbar schüchtern, seine Schwester Laura Lou mal vernachlässigend, mal umsorgend. Richtungslos scheint er, ein Einzelgänger, der es faustdick hinter den Ohren hat, zuweilen aber die Familienehre hervorkehrt: eine Nebenfigur von starker Wirkung. Auch Eric Rauch ist hier zu nennen, (jüdischer) Poet, ein mit allen Wassern des Literaturbetriebs gewaschener Redakteur und Lewis Tarrants rechte Hand. Er bleibt einem ebenso lebendig im Gedächtnis wie Laura Lou, Vance’ kränkliche, aber hingebungsvolle, in Selbstverzicht geübte Frau samt ihrer biederen Mutter.
    Die mit Abstand schillerndste Nebenfigur ist Bunty Hayes, Geschäftsführer des Hauses«Storecraft», ein self-made man der ersten Stunde, der selbst in leitender Position immer etwas von einem Vertreter an sich hat. Wie kaum ein anderer vertritt er den amerikanischen Handelsgeist, großspurig, plakativ denkend und sprechend, mit etwas Herz und etwas Mitleid für die anderen. Man lese, was er Vance Weston vorschlägt, und man wird die heutige kommerzielle Realität für Literatur überdeutlich wiedererkennen:«Ich stell mir vor, dass wir mit einer Reihe von Übersetzungen der schmissigsten fremdsprachigen Romane beginnen, in Absprache mit unserer Abteilung für ausländische Mode.»Wer sich heute in ein x-beliebiges Warenhaus begibt, wird Bunty Hayes als Propheten zu würdigen wissen. Denn das ist ja die Pointe dieser Seite des Romans: dass Bunty Hayes den religiösen Offenbarungswirrwarr von Vance’ Großmutter Scrimser («ihre Begegnung mit Gott»), die zur peinlichen Evangelistin wird, als Apostel des hemmungslos freien Marktes wie ein Stück skurriler Ware an die mehr oder weniger Gläubigen zu bringen versteht. Er stellt sich als der eigentlich Erleuchtete heraus, als praktischer Aufklärer in Sachen Marktmechanismus, der zuletzt seinen einstigen Rivalen um Laura Lous Gunst mit Werbetextaufträgen über Wasser hält.
    Aber vor allem stellt Wharton in Ein altes Haus am Hudson River die Frage nach der Bedeutung der Kunst, des literarischen Schreibens und der Existenz des Künstlers in seiner Zeit – einer Zeit des Umbruchs und der zunehmend unübersichtlichen zivilisatorischen Entwicklung. Gerade in den Zwanzigerjahren wuchs unter Schriftstellern und Kritikern der Zweifel an der Möglichkeit des Romans, mit der gesellschaftlichen, ökonomischen und technischen Dynamisierung Schritt halten zu können. William Carlos Williams etwa wird in seinem bedeutenden Essay Der große amerikanische Roman behaupten:«Es kann keinen Roman geben. Es kann nur Pyramiden geben, Pyramiden aus Wörtern, Gräber … Wörter sind das Fleisch vom gestern. Wörter rollen, kreiseln, flackern auf, rumpeln, rieseln, schäumen – allmählich verlieren sie an Schwung. Allmählich verlieren sie an Unruhe. Zum Schluss zerfallen sie in ihre Buchstaben.»Wharton dagegen setzte in ihrem späten Roman noch einmal auf die Kontinuität des Erzählens, auf den epischen Atem, das nie verblassende Interesse an zwischenmenschlichen Beziehungen, wobei sie deren soziale Bedingungen in all ihren Nuancen und Kontrasten erzählend mitreflektiert. Ein altes Haus am
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