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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River
Autoren: Edith Wharton
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Hudson River ist, wie auch dessen Fortsetzung The Gods Arrive , ein Künstlerroman, der seinerseits die Kunst des klassischen Romans, also des vielschichtigen Erzählens, der Entwicklung einer mehrsträngigen Handlung und reicher Motivgestaltung, virtuos vorführt. Dabei war sich Wharton der Tendenzen avantgardistischen Erzählens sehr wohl bewusst. Als sie elf Jahre nach dem Erscheinen ihrer«experimentellsten», narrativ gewagtesten Romane, Ethan Frome und The Reef , ein Vorwort für eine Neuauflage verfasste – es war das Jahr, in dem Joyce’ Ulysses erschien (1922) –, betonte sie, die Begebenheiten in Ethan Frome seien « in fractions »dargestellt, also aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Diese Brüche würden Raum für die Deutung des Lesers schaffen, der sich darüber Gedanken machen solle, welche Perspektive die sinnvollste oder aussagekräftigste sei. Sie sprach von Lesern, nicht von Kritikern, zu denen sie ein eher gespanntes Verhältnis hatte. Ein Tagebucheintrag aus dem Jahr 1925 besagt, dass die meisten Kritiker ihre Romane so gelesen hätten, als wollten sie mit Boxhandschuhen Blumen zerlegen.
    Auch Ein altes Haus am Hudson River zeichnet sich durch diverse Handlungsstränge und -motive aus. Vorrangiges Thema ist freilich der Werdegang des jungen Schriftstellers Vance Weston. Er sucht sich vom journalistischen Schreiben zu befreien, um einem neuen Kunstideal nachzueifern, das durchaus jene absolute Form der Sprachkunst ahnen lässt, die wie erwähnt William Carlos Williams im Auge hatte. Trotz seiner gravierenden Erfahrungen von sozialer Armut, auch seiner eigenen, scheint Vance durchaus nicht gewillt, sich literarisch dem sozialen Realismus und damit einer bloßen wirkungsorientierten Abbildung dieser Erfahrung zu verschreiben. Offenbar geht es ihm darum, poetische Gegenwelten zu entwerfen. Vance will Neues, eine neue Religion, eine neue Kunst, und er findet den eigentlichen Anlass zu seinem Schaffen in einem alten Haus,«The Willows».
    Häuser spielen in den Romanen der Edith Wharton – erwähnt sei nur The House of Mirth — immer wieder eine wichtige Rolle: als Orte, an denen sich Erinnerungen verlebendigen, als Eigenwelten von besonderer historischer Tiefe, bewohnt von sich selbst überlebenden Besitzern, deren Geheimnissen und Schicksalen. So auch in unserem Roman das Haus namens The Willows. Es beherbergt Mythen über seine früheren Besitzer und ist, wie sein Name besagt, von Weiden umgeben, die Melancholie symbolisieren. Die besondere Atmosphäre dieses alten Hauses, in dem nichts und niemand mehr lebt außer dem Geist einer anderen Welt, lernt der aus der Provinz stammende und mit den Idealen des kulturfernen, ökonomischen Fortschrittsdenkens aufgewachsene Vance Weston rasch zu schätzen. Er liest sich in die Bibliothek des Hauses ein und begegnet, von Héloïse Spear, der überlegen wirkenden self-made- Intellektuellen, sporadisch angeleitet, dem bislang Unerhörten. Dazu zählt in erster Linie die Poesie von Samuel Taylor Coleridge, insbesondere dessen Kubla Khan -Dichtung. Coleridge steht hier für die Verbindung des Konkreten mit dem Phantastischen, für eine quasi kosmische Schau der Dinge mit dem Bewusstsein des Fragmentarischen, Unabgeschlossenen im Dasein. So wie ein Zitat von Goethes Faust und dessen Gang zu den Müttern (hier wie in The Gods Arrive ) auf den Urgrund der Existenz verweist, steht der romantische Dichter Coleridge für den Uranspruch der Poesie, nämlich den Blick auf andere Welten zu öffnen. Die Erzählerin in Ein altes Haus am Hudson River kommentiert:« Das war ein neuer Klang, ihm völlig unbekannt, und dennoch schwangen die verborgenen Saiten seiner Seele sofort mit.»Womit zudem gesagt ist, dass das«Neue»auch im Alten, aber bislang Unentdeckten aufgefunden werden kann.
    Diese«verborgenen Saiten»hatten sich in Vance’ Unterbewusstsein gespannt, geradezu im Widerstand gegen die Provinz des amerikanischen Mittelwestens, wo er aufwuchs, und zwar in einer Stadt mit dem plakativ emphatischen Namen Euphoria. Zu Hause waren dort Selbstüberschätzung, Heuchelei, moralinsaures Evangelistentum, verkörpert von Vance’ eigener Großmutter, und ein Spekulantenreichtum, der seine kleinbürgerlichen Ursprünge nicht verleugnete. Auch Vance’ Familie verdankt ihren relativen Wohlstand den fragilen Immobiliengeschäften des Vaters. Dort, in Euphoria, hätte sich Vance’ berufliche Perspektive in einem kümmerlichen Dasein als Journalist für eine
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