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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt
Autoren: Ryan David Jahn
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sagt sein Achselzucken, mehr auch nicht.
    »Du hast gesagt, du kommst gegen zwei nach Hause«, sagt sie.
    »Ist doch egal, oder?«
    »Es ist nicht egal, weil ich auf dich gewartet habe. Es ist nicht egal, weil ich dachte, wir würden einen romantischen …« Sie hält inne, als sie hört, dass ihre Stimme schrill
wird. Sie schließt einen Moment die Augen, sammelt ihre Gedanken und beruhigt sich.
    »Sieh mich an«, sagt sie. »Wie lachhaft ich aussehe.«
    »Tust du nicht«, sagt Larry.
    Was er nicht sagt, ist, dass sie schön aussieht, dass er sie immer noch attraktiv findet, dass er sie sexy findet.
    »Tue ich doch«, sagt Diane und betrachtet ihr Geisterbild im Fenster. »Ich bin zu alt, um mich so anzuziehen, und sehe lächerlich aus.« Sie sagt es leise, eher zu sich als zu Larry. Aber dann wendet sie sich ihm wieder zu: »Ich will wissen, wo du heute Abend nach dem Bowling gewesen bist«, beharrt sie. »Kannst du es mir bitte sagen?«
    »Unterstellst du mir, dass ich lüge?«
    »Nein«, antwortet sie. »Ich sage dir, ich weiß, dass du lügst – und ich will die Wahrheit hören.«
    »Wovon redest du eigentlich?«
    »Thomas wohnt auf der anderen Hofseite im dritten Stock, drittes Fenster von links. Bei ihm ist das Licht vor zweieinhalb Stunden angegangen.«
    »Jetzt spionierst du schon meinen Freunden nach?«
    »Versuch nur nicht, alles zu verdrehen. Am Bowlingabend achte ich immer auf das Licht, denn wenn es angeht, bedeutet es normalerweise, dass du auch bald zu Hause bist. Ich warte auf dich. Heute Abend hab ich gedacht, es könnte Spaß machen, wenn … Ich wollte, dass es wieder so ist wie früher.«
    »Weißt du, warum du vor zwei Stunden das Licht bei Thomas hast angehen sehen? Weil seine Frau nicht aufbleibt, um zu warten. Es war da drüben dunkel, weil sie ins Bett gegangen ist.«
    »Thomas hat doch gar keine Frau, Larry«, sagt sie. »Ich hab noch nie ein Wort mit ihm gewechselt, aber das kann ich dir trotzdem sagen.«

    Wenn sie einen besseren Mann geheiratet hätte, hätte sie vielleicht ein Kind bis zum Ende der Schwangerschaft austragen können. Vielleicht hätte ihr Körper es nicht abgestoßen wie einen Parasiten. Vielleicht hatte ihr Körper aber schon die ganze Zeit gewusst, was ihr Verstand nicht hatte wahrhaben wollen – bis jetzt. Larry ist ein Stück Scheiße, und alles, was er anfasst, wird ebenfalls zu Scheiße. Er geht zum Bowling und zum Saufen und zu wer weiß was. Alles von ihrem Geld. Sie arbeitet den ganzen Tag im Pete’s als Kellnerin, serviert angekohltes Steak und halbrohe Hühnerbrust, ihre Knöchel angeschwollen, die Arme schmerzend, und muss sich von Gary, dem hinterngrapschenden Geschäftsführer, anschnauzen lassen, während Larry auf seinem Arsch sitzt, Kriegsromane liest und fernsieht. Wenn sie nach Hause kommt, lässt er sie allein, geht los und gibt ihr Trinkgeld aus für Bier und sonst was.
    Larry steigt aus seinen Bowlingschuhen und kickt sie zur Tür, wo die Bowlingkugel bereits auf ihren Einsatz in der nächsten Woche wartet.
    »Klar hat er eine Frau«, sagt Larry. »Er redet doch kaum von was anderem. Nur von seiner Frau und seiner Tochter.«
    »Wechsle bloß nicht das Thema«, sagt Diane und schüttelt den Kopf. »Ich will wissen, wohin du nach dem Bowling gegangen bist.«
    »Du hast das Thema gewechselt«, sagt Larry.
    »Wo warst du?«
    Larry erwidert nichts. Er stapft in seinen gottverdammten Stinkesocken zum Fenster und sieht hinaus in die Nacht.
    Diane folgt seinem Blick hinüber zu Thomas’ Wohnung. Sie kann Thomas erkennen, der rechts im Wohnzimmer in
einem Sessel sitzt. Er scheint ins Leere zu starren. Sie fragt sich, ob er vielleicht sein eigenes Geisterbild anstarrt, das draußen vor dem Wohnzimmerfenster schwebt.
    Sie betrachtet ihn eine Weile. Er sitzt einfach da und starrt. Er bewegt sich nicht.

6
    Thomas Marlowe sitzt in seinem ramponierten Sessel, trägt noch immer sein nach Schweiß stinkendes Bowlinghemd und seine bunten Schuhe, die ihn, da ist er sicher, wie einen verdammten Blödmann aussehen lassen. Dünne graue Haare kräuseln sich auf seinem Schädel, und graue Tränensäcke hängen unter seinen Augen. Grau. Er ist der Mann in Grau: graues Haar, graue Augen, graue Laune. Letztere gewöhnlich sogar dunkelgrau, nicht weit entfernt von schwarz.
    Das Foto einer brünetten Frau neben einem jungen Mädchen von ungefähr zehn oder elf Jahren steht auf seinem Couchtisch. Er betrachtet es lange. Die Frau hat dem Mädchen den Arm um die Schulter
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