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Eifel-Sturm

Eifel-Sturm

Titel: Eifel-Sturm
Autoren: Jacques Berndorf
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Nacht?«
    »Es war sehr gut«, grinste ich. »Sie ist ein wirklich guter Typ.«
    »Das ist wahr«, nickte Emma.
    Wir gingen in den Saal hinein und quetschten uns in der letzten Reihe auf zwei Stühle, dicht am Fenster.
    Kischkewitz und Rodenstock betraten den Raum und setzten sich an einen kleinen Tisch nebeneinander, legten Blocks und Kugelschreiber bereit. Dann stand Kischkewitz wieder auf.
    »Liebe Leute«, begann er gemütlich, »wir haben eine Anhörung vor uns. Ich sage bewusst Anhörung und vermeide das Wort Verhör. Wir haben es mit einer Frau zu tun, die nach meinem Dafürhalten sehr gelitten hat. Und das seit mindestens einem Jahr. Es ist die Geschichte eines Verlustes, es ist auch die Geschichte des Verlustes von Identität. Die Dame hat angedeutet, dass sie dankbar wäre, wenn ihr keine Handschellen angelegt würden. Ich bitte um Höflichkeit und um die strikte Einhaltung der Regel, dass die Fragen nur von Rodenstock und mir kommen. Ich darf dann bitten, Ewald.«
    Anna trug wieder ein langes, schwarzes Kleid. Sie bewegte sich voll Würde auf den Stuhl zu, den man ihr hinter einem kleinen Tisch bereitgestellt hatte. Sie setzte sich, sie wirkte ungezwungen und schaute Kischkewitz und Rodenstock offen an.
    »Wir können auf die Personalien verzichten«, eröffnete Kischkewitz. »Frau Driesch, dies ist eine Anhörung, bei der Sie freundlicherweise die Anwesenheit der Kommission dulden und gleichzeitig zunächst auf einen eigenen Rechtsbeistand verzichten, den Sie selbstverständlich frei auswählen können. Wenn Sie an einen Punkt geraten, an dem Sie lieber einen Anwalt neben sich haben möchten, dann brauchen Sie das nur zu sagen und die Anhörung wird beendet sein. Haben Sie das verstanden?«
    »Das habe ich verstanden«, sagte sie mit ihrer klaren Altstimme.
    »Wir haben bereits ein erstes Gespräch geführt«, erklärte Rodenstock freundlich. »Da ich durchaus begreifen kann, dass Sie unter erheblichem Druck gestanden haben und wir den Druck nicht verstärken möchten, schlage ich vor, dass Sie zu erzählen beginnen. Fangen Sie an dem Punkt an, der für Sie wichtig ist. Wenn wir eine Zwischenfrage für notwendig halten, dann melden wir uns zu Wort. Sind Sie einverstanden?«
    »Ja, das bin ich«, sagte sie. »Ist es erlaubt zu rauchen?«
    »Selbstverständlich«, nickte Kischkewitz. »Einen Aschenbecher, bitte«
    »Und Zigaretten, bitte«, setzte sie hinzu. Sie lächelte leicht.
    Im Hintergrund schwoll Gelächter an, verebbte aber sofort wieder, als sie sich eine Zigarette angezündet und sich aufrechter hingesetzt hatte.
    »Ich weiß aus schlechten Filmen, dass die Mitglieder dieser Kommission besonders auf einen Satz warten. Auf den Satz nämlich, dass ich meinen Mann erschossen und Wilma Bruns umgebracht habe. Ich sage ihn also direkt zu Anfang und bin mir durchaus bewusst, was das bedeutet. Da mein Leben sowieso kaputt ist, kann ich das ruhig einräumen. Ich habe getötet.
    Wie das alles eigentlich begann, ist sehr schwer zu rekonstruieren, weil zu Beginn dieser schrecklichen Zeit kein Wissen vorhanden war, sondern nur eine diffuse, blöde, angstmachende riesige Welle von Gefühlen, die mit Unruhe verbunden sind, mit Angst, ja, mit Todesangst. Es gibt keine Realität, an der man diese Gefühle festmachen kann. Dein Mann kommt jeden Abend nach Hause, schläft jede Nacht in dem Bett neben dir, schläft mit dir, spricht mit dir, teilt seine Sorgen mit dir. Und trotzdem bist du dir sicher: Da läuft etwas ab, an dem er dich nicht teilhaben lässt. Du erlebst sein Leben wie sonst auch, aber du weißt, dass dieses Leben plötzlich einen Schatten hat, ein zweites Leben. Und damit beginnt diese Geschichte. Das ist jetzt länger als ein Jahr her.«
    Sie setzte sich erneut zurecht und fummelte mit der Zigarette im Aschenbecher herum.
    »Mein Mann hat damals zusammen mit Annette von Hülsdonk und Wilma Bruns an der Projektierung eines Windparks gearbeitet. Und ganz plötzlich hatte er kein Interesse mehr daran. Kein Interesse ist vielleicht das falsche Wort, vielleicht wäre das richtige Wort: Er erlahmte. Ich fragte ihn danach, er wehrte ab. Er sagte, er sei erschöpft. Da aber im Zuge der Entwicklung dieses Windparks eine ganze Gemeinde von ihm abhängig war, kam Erschöpfung nicht in Frage, er hatte seine Leute noch nie verraten. Irgendetwas musste geschehen sein, das ihn lähmte. Ich wusste nicht, was. Und er tat etwas, was er bis dahin nie getan hatte: Er ging abends vor das Haus und stand stundenlang am
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