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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Uwe Klausner
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Minuten würde er der Aufschneiderin, um die es sich wahrscheinlich
handelte, noch geben. Und keine Sekunde mehr. Danach würde er zum Rückzug blasen.
Und, wie nicht anders zu erwarten, eine geharnischte Strafpredigt über sich ergehen
lassen müssen.
    Ein Schicksal,
das ihm jedoch erspart bleiben würde.
    »Theodor
Morell, wie er leibt und lebt.« Die Stimme im Ohr, die vom Portal ins Innere des
Mausoleums drang, fuhr der Journalist herum. Ringsum herrschte Dämmerlicht, und
so konnte er das Gesicht der Unbekannten kaum erkennen. »Tut mir leid, dass ich
mich verspätet habe.«
    »Nicht der
Rede wert.«
    »Freut mich
zu hören, Herr Morell«, antwortete die vermeintliche Informantin, nachdem sie am
oberen Ende der Treppe angekommen und ins Innere der Gedächtnishalle getreten war.
»Ich bin sicher, Sie werden es nicht bereuen.«
    Morell hatte
Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Mit Preußens Luise, wie sie auf zahllosen
Porträts abgebildet war, hatte die mittelgroße, zur Korpulenz neigende und altbacken
angezogene Frau Mitte 40 genauso viel zu tun wie er mit einem Kartäusermönch [18] . Luise, im Teenageralter
verheiratet und mit 21 Königin, war eine gefeierte Schönheit, voller Liebreiz und
mit einem gehörigen Maß an Vitalität und Lebensfreude gesegnet gewesen. Und somit
das genaue Gegenteil der Frau, deren Hand er soeben schüttelte. Die Frau, wie Theodor
enttäuscht feststellte, reichte ihm gerade einmal bis zur Schulter, trug einen altmodischen
Hut, eine Strickjacke und eine Bluse mit gestärktem Kragen. Sie hatte das Haar streng
gescheitelt, am Hinterkopf zu einem Knoten geflochten und aus Gründen, die Morell
nicht nachvollziehen konnte, keine Schminke aufgetragen. Vor allem der Rock, grau,
gouvernantenhaft und abgetragen, würde wohl kaum für Aufsehen sorgen, und das traf,
wie Theodor enttäuscht feststellte, auch auf ihr Aussehen und die dunkel gefärbten
Haare zu. Die Frau sah bieder, verhärmt und beinahe schon alt aus, viel älter, als
sie vermutlich war.
    Um eine
Enttäuschung reicher, ließ sich Theodor nichts anmerken und kam umgehend zum Thema.
»Kommt drauf an, was Sie mir zu offerieren haben!«, antwortete er, vergaß aber nicht,
den Zusatz »gnädige Frau« zu verwenden. Der Charmeur in ihm war nicht totzukriegen,
auch wenn das Gespräch ein geschäftliches war.
    »Sagen wir’s
einmal so: Dass Sie mein Angebot abschlagen werden, kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Und warum
gerade ich?«, wollte Morell wissen und suchte den Blick seiner Gesprächspartnerin.
»Reporter gibt es in Berlin genug.«
    »Aber keinen
wie Sie.«
    Empfänglich
für Komplimente, fiel es Theodor schwer, seine Verlegenheit zu kaschieren. »Ich
… ich wüsste nicht, durch welche Heldentaten ich in letzter Zeit von mir reden …«,
begann er, wurde jedoch sanft, aber bestimmt unterbrochen.
    »Ich denke
schon, dass Sie von sich reden gemacht haben, Herr Morell !«, lautete die
Antwort, mit Betonung auf seinem Familiennamen. »Wenn nicht heute, dann vor 30 Jahren.«
    »Darf man
fragen, mit wem ich die Ehre habe?«, erwiderte Morell, der nichts mehr hasste, als
um den heißen Brei herumzureden. Das war zwar alles andere als galant, sparte jedoch
Zeit.
    »Gestatten
– Nettelbeck!«, versetzte die Frau und verzog dabei keine Miene. »Jahrgang 18, geboren
in Berlin.« Und dann, mit der Andeutung eines Lächelns: »Und Sie?«
    »Ich auch.«
    »Wo genau?«
    »In Wedding!«,
schnappte Morell und ergänzte spitz: »Am 2. April 1910, falls Sie es genau wissen
wollen.«
    Sein Gegenüber,
das eine unerschütterliche Ruhe ausstrahlte, schien sich auch an dieser Antwort
nicht zu stören. »In Wedding, ja gibt’s denn so was.«
    »Genauer
gesagt im Jüdischen Krankenhaus!«, karrte Morell verstimmt nach, worauf sich prompt
der Kavalier alter Schule meldete, der ihm riet, von Grobheiten Abstand zu nehmen.
»Gewohnt haben wir in der Wins-straße, Bezirk Prenzlauer Berg.«
    »Wir?«
    »Meine Eltern
ich. Ach ja, wenn wir gerade dabei sind: Nach der Volksschule kam ich in die Jüdische
Mittelschule.«
    »Ich weiß.«
    Morell stutzte.
Anschließend betrachtete er seine Gesprächspartnerin genauer. Und ertappte sich
bei dem Gedanken, dass sie, gemessen an seinem ersten Eindruck, nicht gänzlich unattraktiv
war. Insbesondere ihre Augen, groß, walnussfarben und von zarten Wimpern überwölbt,
hatten es ihm angetan. Grund genug, sein Urteil zu revidieren. »Und woher?«
    »Winsstraße
63, hab ich recht?« Die Informantin, die offenbar
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