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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Uwe Klausner
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›Kranzler‹ [15] zu sitzen, die Druck-Erzeugnisse
der Konkurrenz zu studieren und die Arbeitswütigen dieser Welt vorbeihasten zu lassen.
Die Friedfertigkeit, welche er an den Tag legte, brachte seinen Chefredakteur jedoch
erst recht in Rage, und was als Tadel begann, artete in einen Rundumschlag aus.
Morell ließ auch dies geschehen, dachte sich seinen Teil und sehnte sich danach,
einen Auftrag zu bekommen, der ihn für den Rest des Tages von der Redaktion fernhalten
würde.
    Sein Flehen
wurde erhört. »Also: halb zwölf im Schlossgarten. Treffpunkt Mausoleum«, schnarrte
der Chefredakteur, ein drahtiger Maulheld Anfang 30, der sein Sohn hätte sein können,
worauf sich Morell das Salutieren gerade noch verkneifen konnte. »Und anschließend
wieder hierher zum Rapport!«
    Der Boulevardreporter
seufzte. Schon wieder so ein Treffen, bei dem er einem obskuren Informanten – oder,
laut vorliegenden Informationen, einer Informantin – auf den Zahn fühlen und mit
leeren Händen zurückkehren würde. Und als Entschädigung die Möglichkeit, auf einen
Sprung im ›Kranzler‹ vorbeizuschauen, den ersten Chardonnay des Tages zu genießen
und in aller Ruhe Lachsschnitten mit Kaviar zu genießen. Nicht schlecht! Bis halb
zwölf war noch reichlich Zeit, und die galt es auf standesgemäße Art zu überbrücken.
Was die sogenannte Informantin betraf, würde er es kurz machen, im Anschluss an
sein Rendezvous noch eine Weile lustwandeln und erst spätnachmittags, wenn überhaupt,
wieder hier eintrudeln.
    Die Miene
des Boulevardreporters hellte sich auf. Dies würde ein Tag werden, wie er ihn liebte.
Ein Tag, an dem er es sich gut gehen lassen würde.
     
    *
     
    Die Hochstimmung, in der sich Morell
befand, war jedoch nicht von Dauer. Kaum war er vor dem Schloss angekommen, meldete
sich bereits der Skeptiker in ihm. Eine Informantin, Mutmaßungen seines Chefredakteurs
zufolge um die 40, die vorgab, das Staatsgeheimnis schlechthin in Händen zu halten.
Und die, seltsam genug, Wert darauf legte, es ihm, und nur ihm, anzuvertrauen. Das
roch nicht nur nach Reinfall, das stank regelrecht zum Himmel.
    Reinfälle,
insofern das Wort ausreichte, um das Fazit seiner konspirativen Zusammenkünfte zu
umschreiben, hatte Morell in Hülle und Fülle erlebt. Die Schauplätze hatten zwar
gewechselt, viel herausgekommen war dabei jedoch nicht. Neu und in der Tat ungewöhnlich
war indes der Ort, an den er bestellt worden war. Das Mausoleum im Schlosspark war
der Hort des Preußentums schlechthin, und er fragte sich, welche Überraschung ihn
dort erwarten würde.
    Was blieb,
war die Hoffnung, auch einmal einen großen Coup zu landen. Spürsinn allein reichte
dazu jedoch nicht aus. Man brauchte auch Glück. Eine Menge Glück. Von der Art, wie
es dieser Fotograf aus Hamburg im vergangenen August, zwei Tage nach dem Bau der
Mauer, gehabt hatte. Morell konnte es immer noch nicht fassen. Steht dieser Volontär
doch tatsächlich an der Ecke Bernauer / Ruppiner
Straße. Rein zufällig. Einfach so. Eine Kamera Marke DDR in der Hand. Das Objektiv
auf einen Grenzsoldaten gerichtet, der eine Fluppe nach der anderen qualmt. Und
dann, urplötzlich, lässt der DDR-Grenzer seine Kippe fallen, nimmt Anlauf und springt
über den Stacheldraht. Wirft im Sprung seine MP 41 weg. Und dieser Anfänger hält
drauf und drückt ab. Genau im richtigen Moment. Ein Foto, das um die Welt gegangen
war. Genau wie dasjenige von Flüchtenden, die unter Stacheldrahtrollen hindurch
in die Freiheit hechten. Oder von Hausbewohnern, die aus den oberen Stockwerken
entlang der Bernauer Straße springen. Oder von den Panzern, die am Checkpoint Charlie
in Stellung gegangen waren. Hier die Amis, dort die Russen, nur wenige Meter voneinander
entfernt. Aus diesem Stoff wurden Schlagzeilen gemacht. Das war es, was die Leute
wollten. Oder vielleicht auch brauchten. Geschichten wie jene in der Bild-Zeitung,
datiert vom 25. Januar. Aufmacher, mit denen die Konkurrenz ihre Auflage steigerte.
Exklusiv, von zwei Ostberliner Brüdern verkauft. Einschließlich der Fotoreportage
über den Tunnel, den sie gebuddelt hatten und durch den sie mit 26 Mitwissern in
den Westen getürmt waren. ›Wieder Massenflucht nach West-Berlin geglückt. 28 kamen
auf einen Schlag!‹ Morell stöhnte gequält auf. An die Standpauke, die ihm sein Chefredakteur
noch am gleichen Tag gehalten hatte, konnte er sich noch gut erinnern. Es war der
Beginn einer innigen Abneigung gewesen. Einer Antipathie, deren Intensität
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