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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Uwe Klausner
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nicht daran dachte, die ihr zugewiesene
Rolle zu erfüllen, zog die Brauen hoch und sah ihn mit kindlich-naivem Lächeln an.
»Direkt über den … na, wie hieß die Familie doch gleich?«
    »Lenuweit«,
brach es aus Theodor, der den Mund fast nicht zubekam, mit nur mühsam kaschierter
Verblüffung hervor. »Eine von insgesamt sechs Familien im Haus, drei jüdische und
… und …« Morells Wortschwall brach mitten im Satz ab. Schuld daran war nicht etwa
mangelnde Eloquenz, sondern die Tatsache, dass er mit unliebsamen Reminiszenzen
konfrontiert wurde. An die Zeit vor 1945, eine Periode der Demütigungen, Drangsal
und abgrundtiefer Barbarei, dachte er, wenn überhaupt, nur mit Schrecken zurück,
und es fiel ihm nicht leicht, schmerzhafte Erinnerungen wachzurufen. »Und dann war
da noch eine Familie mit drei Kindern«, fuhr er fort, als seine Verblüffung abgeklungen
und sich die Gespenster, welche ihn zuweilen heimsuchten, verflüchtigt hatten. »Ich
bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es waren zwei Jungs und … und … da bleibt
einem doch glatt die Spucke weg … Luise ?«
    »Wurde aber
auch Zeit, Herr Rosenzweig .«
    »Was treibt
dich denn hierher?« Der Boulevardreporter errötete. »Tut mir leid, dass ich so lange
gebraucht habe, bis …«
    »Kein Grund,
mit sich zu hadern!«, nahm ihm Luise Nettelbeck das Wort aus dem Mund. »Schließlich
warst du viel älter als ich. Acht Jahre, eine halbe Ewigkeit! Macht nichts, Theodor.
Wer gibt sich schon mit 15-Jährigen ab, wenn einem die Damenwelt zu Füßen liegt.
Das wäre wirklich zu viel verlangt.«
    »Und wie
hast du rausgekriegt, dass … dass …«
    »Dass deine
Artikel unter einem Pseudonym veröffentlicht wurden, meinst du? Per Zufall. Unter
tätiger Mithilfe eines Bekannten.« Luise Nettelbeck konnte sich ein Lächeln nicht
verkneifen. »Dein Pech, dass er als Schriftsetzer beim ›Vorwärts‹ gearbeitet und
alles brühwarm ausgeplaudert hat. Man stelle sich vor: Der attraktive junge Herr
von nebenan führt ein Doppelleben – wie aufregend!«
    »So, findest
du.« Theodor Morell alias David Rosenzweig verschlug es die Sprache. ›Doppelleben‹
– kein schlechter Ausdruck für die Zeit, in der er als Buchhalter im Kaufhaus Wertheim [19] gearbeitet und seine
journalistischen Ambitionen vor dem gestrengen Herrn Papa verheimlicht hatte. Wusste
er doch nur zu gut, dass der pflichtbewusste, stockpreußische und patriotisch gesinnte
Zweigstellenleiter der Deutschen Bank am Spittelmarkt dies nie und nimmer gut geheißen
und ihm die Hölle heißgemacht hätte, wenn er ihm auf die Schliche gekommen wäre.
»Merkwürdig, obwohl ich schon über 20 war, habe ich wahnsinnige Manschetten vor
Vater gehabt.«
    »Du brauchst
dich nicht zu rechtfertigen, David.«
    »Belassen
wir es lieber bei Theodor«, wies der Boulevardreporter seine Gesprächspartnerin
zurecht. »Den David Rosenzweig haben sie mir gründlich ausgetrieben. Ein Glück,
dass meinen Eltern das Schlimmste erspart geblieben ist.«
    »Da hast
du recht.«
    Überwältigt
von seinen Erinnerungen, wandte sich Morell rasch ab und ließ die Handflächen auf
dem Rand des Marmorsarkophages ruhen, unter dem sich die Ruhestätte von Friedrich
Wilhelm III. befand. ›Glück‹ – noch so ein Ausdruck, der den Nagel auf den Kopf
zu treffen schien. Vater, Ehrenmitglied im Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten, war
zwar relativ spät, genauer gesagt 1937, entlassen worden. An dem Schicksal, das
ihm beschieden war, hatte dies jedoch nichts geändert. Nur wenige Monate später
war der nierenkranke Bankier gestorben, knapp eineinhalb Jahre vor seiner Mutter,
die dem Krebs, der ihr Knochenmark zerfraß, hilflos ausgeliefert gewesen war.
    »Und du
– was geschah mit dir?«
    »Mit mir?«
Morell lachte desillusioniert auf. »Nun, kurz nach Kriegsbeginn flatterte mir ein
Brief ins Haus. Ich möge mich schleunigst in die ›Reichszentrale für jüdische Auswanderung‹
begeben, hieß es darin. Du ahnst, was man mit mir vorhatte? Genau. Die Herren in
der Kurfürstenstraße wollten mich loswerden. Deportieren. Allen voran ein gewisser
Eichmann, damals noch Sturmbannführer, der es sich nicht nehmen ließ, mich persönlich
ins Gebet zu nehmen. Eins musste ihm der Neid lassen: Der Mann hat etwas von seinem
Handwerk verstanden. Zuckerbrot und Peitsche, Drohgebärden und Versprechungen. Damit
hat er versucht, mich kleinzukriegen.« Morells Miene nahm einen grimmigen Ausdruck
an. »Kurzum: Meine Karriere konnte ich mir abschminken.
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