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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Uwe Klausner
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Stattdessen verfrachtete
man mich in ein Lager, in dem man auf die Auswanderung nach Palästina vorbereitet
wurde. Pech, dass es kurz nach meinem Eintreffen aufgelöst wurde.«
    »Und dann?«
    »Tja, danach
hieß es Wege schottern, Schienen verlegen, Abflussleitungen reparieren. Tiefer als
ich konnte man wirklich nicht sinken.«
    »Und wenn
schon – Hauptsache, du hast überlebt.«
    »Weißt du
was, Luise? Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, wenn ich mir eine Kugel
durch den Kopf gejagt hätte. Handlangerdienste, Schwerstarbeit für 16 Pfennig die
Stunde, Hilfskoch in einem jüdischen Waisenhaus, Totengräber, und dann, als Krönung
des Ganzen, sage und schreibe zwei Jahre im Untergrund, will heißen in einer Gartenlaube
– so was musst du erst mal verkraften. Von den Scheußlichkeiten, die bei Kriegsende
publik geworden sind, gar nicht zu reden.«
    »Hauptsache,
du hast es überstanden, David.«
    Im Begriff,
seiner Informantin zu widersprechen, besann sich Morell eines Besseren, stieß sich
von der Sarkophagkante ab und sah sie über die Schulter hinweg an. »Apropos Karriere
– wie ist es dir seit damals ergangen, Luise?«
    »Vater und
Mutter haben sich 1942 getrennt.«
    »Weshalb?«
    »Gert und
Hans, meine beiden Brüder, sind kurz nach Kriegsbeginn gefallen. Der eine bei einem
Tieffliegerangriff an der Westfront, der andere in Polen. Mein Vater war fix und
fertig, ein gebrochener Mann.«
    »Und deine
Mutter?«
    »Die auch.
Aber nicht so sehr wie Vater. Der hing von da an nur noch an der Flasche. Tja, irgendwann
wurde es ihr zu bunt. Auf gut Deutsch: Sie ist abgehauen, und ich auch. Nach Bayern,
zurück in die Heimat. Gerade rechtzeitig, bevor es in Berlin zur Sache ging.«
    »Hauptsache,
du hast es überstanden, Luise!«, echote Morell, breitete die Arme aus und blickte
sich theatralisch um. »Der ideale Ort, um Erinnerungen aufzufrischen, nicht wahr?«
    Die Angesprochene
rang sich ein Lächeln ab. »Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen, mein lieber
…«
    »Theo, schlicht
und ergreifend Theo.« Die Arme vor der Brust verschränkt, ließ Morell den Kopf nach
vorn sacken. »Wie gesagt – David Rosenzweig existiert nicht mehr.« Rasch fügte er
hinzu: »Reden wir lieber über dich, Luise. Wie ist es dir seither ergangen?«
    »Ich habe
Karriere gemacht!«, spottete Luise Nettelbeck. »Was denkst denn du! Höhere Handelsschule,
Tippse, Übersiedelung nach Bayern, Trümmerfrau, Serviererin in einem amerikanischen
Offizierskasino und …«
    »Und?«,
bohrte Morell, dem die Unsicherheit in der Stimme seiner Bekannten nicht entging.
»Wo bist du geendet?«
    »Willst
du das wirklich wissen, Theo?«
    »Klar.«
    »Na schön.«
Die 44-Jährige holte tief Luft und sagte: »In der Zentrale des BND in Pullach. Als
Vorzimmerdame.«
    Morell pfiff
überrascht durch die Zähne. »Donnerwetter!«, flüsterte er, im Zweifel, ob es klug
war, das Gespräch fortzuführen. »Mir scheint, als hättest du Karriere gemacht.«
    »Das schon,
aber nicht so problemlos wie manch anderer.« Nicht in der Stimmung für launige Bemerkungen,
nahm Luise Nettelbeck ihre Handtasche von der Schulter, öffnete sie und zog einen
weißen Umschlag hervor, den sie Morell mit nachdenklicher Miene offerierte. »Für
dich, Theo. Ich nehme an, das wird dich interessieren.«
    Morell zögerte.
Dann griff er zu.
    »Apropos
Karriere«, ergriff die Frau, die jede seiner Bewegungen verfolgte, erneut das Wort.
»Du glaubst gar nicht, wer alles beim BND die Leiter hinaufgefallen ist. Ehemalige
Mitglieder des Reichssicherheitshauptamtes, verdiente Parteigenossen, hochrangige
Offiziere der SS. Und was für den BND gilt, gilt natürlich auch für das BKA [20] und den Polizeiapparat.
Schon gewusst, dass ein ehemaliges SS-Mitglied zum Stellvertreter des BKA-Präsidenten
ernannt worden ist? Und dass, vorsichtig geschätzt, knapp 50 Mitglieder des Totenkopfordens
für die Behörde tätig sind? Nein? Oder dass sich der BND nicht zu schade war, die
Dienste hochrangiger Nazis in Anspruch zu nehmen? So zum Beispiel diejenigen eines
gewissen Alois Brunner [21] ,
der als Dank für seine Handlangerdienste von der griechischen Fahndungsliste gestrichen
wurde? Da staunst du, was? Glaubt man den Herren von der CIA [22] , handelt es sich bei jedem zehnten Mitarbeiter des
BND um einen alten Kameraden aus den Reihen der Gestapo, SS, SA oder des SD [23] . Allen voran der
erste BND-Präsident, Ex-Generalmajor Reinhard Gehlen, ehemals Leiter der ›Abteilung
fremde Heere
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