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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Uwe Klausner
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an der Bettkante
und verfluchte den Tag, an dem er zum ersten Mal Cognac getrunken hatte. Dann aber,
der Einsicht zum Trotz, stieß er ein fatalistisches Seufzen aus und tastete nach
dem Flakon, der stets griffbereit auf seinem Nachttisch stand. Nur ein Schluck!,
schwor er sich, und nur vom Feinsten, das war er sich trotz seines Brummschädels
schuldig.
    Es wurde
ein halbes Dutzend daraus.
    Rémi Martin
Louis XIII. Der Tag konnte beginnen.
    Theodor
Morell, dunkelhaarig, hager und mittelgroß, war ein Genießer. Cognac, Champagner
und Wein aus dem Périgord gingen ihm über alles, Maßanzüge und italienische Opern
mit eingeschlossen. Wenn es etwas gab, auf das er nicht verzichten konnte, dann
die Premierenbesuche in Mailand, Zürich oder Wien, einerlei, wie tief er in die
Tasche greifen musste.
    Als ebenso
kostspielig und geradezu ruinös hatte sich sein Hang zu Pferdewetten, Kasinos und
Damen im reiferen Alter erwiesen, die Theodor, einem Herzensbrecher der alten Schule,
nur selten widerstehen konnten. Die Frage, ob er sich dies leisten könne, stellte
er sich gar nicht mehr, wohl wissend, dass er über seine Verhältnisse lebte.
    Kurz und
gut: Um die Annehmlichkeiten, die er sich gönnte, finanzieren zu können, reichte
die Tätigkeit bei Berlins größter Boulevardzeitung nicht aus. Das war ihm ein ums
andere Mal bewusst geworden. Die logische oder vielmehr fatale Konsequenz bestand
darin, dass Morell begonnen hatte, Schulden zu machen. Schulden, die, wie ihm in
seltenen Momenten der Reue klar wurde, mittlerweile zu einem fünfstelligen Betrag
angewachsen waren.
    Theodor
Morell, Weltmeister im Ignorieren unbequemer Wahrheiten, focht dies allerdings nicht
an. Zu einem Bonvivant, als den er sich verstand, gehörte ein entsprechender Lebensstil.
Die Frage, woher das nötige Kleingeld dafür kommen sollte, war dagegen etwas für
Spießer und für ihn, den einstigen Starreporter, von untergeordneter Natur. Man
musste das Leben genießen, die Dinge nehmen, wie sie kamen, Schwierigkeiten tunlichst
aus dem Weg gehen. Und man durfte nicht alles so heiß essen, wie es gekocht wurde.
    Dass dieses
Credo in Kürze überholt und sein Leben keinen Schuss Pulver wert sein würde, konnte
Morell nicht ahnen. Für ihn, den Charmeur und Lebemann, war dies ein Morgen wie
jeder andere. Ein Morgen, an dem es galt, den inneren Schweinehund zu überwinden,
aufzustehen und sich in Schale zu werfen.
    Dies war
leichter gesagt als getan, und es bedurfte einer weiteren Dosis Rémi Martin, um
Theodor zu animieren, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Im Bad angekommen, warf
er einen Blick in den Spiegel und erschrak beim Anblick seines Konterfeis fast zu
Tode. Aus dem aufstrebenden Stern am Journalistenhimmel der frühen Dreißiger war
ein vor der Zeit gealterter Mann geworden. Ein Salonlöwe in den Fünfzigern, übernächtigt,
unrasiert und mit tiefen Falten im Gesicht. Mit einer Fahne, deren Aroma man niemandem,
am allerwenigsten seinem Chefredakteur, zumuten konnte.
    Nicht willens,
sich einen weiteren Rüffel wegen Zuspätkommens einzuhandeln, machte sich Theodor
Morell ans Werk, wusch und rasierte sich, putzte die Zähne, verkünstelte sich an
seinem Spitzbart und zerkaute mehrere Pfefferminzbonbons. Daraufhin kämmte er sich
und beäugte sein Erscheinungsbild.
    Erwartungsgemäß
fiel dessen erneute Inspektion ungleich günstiger aus. Der Mann, den man dereinst
als den ›Schönen Theodor‹ bezeichnet hatte, war wieder da. Na ja, zumindest teilweise.
Morell stieß einen leisen Stoßseufzer aus. Das gewellte, nach hinten gekämmte Haar
hatte sich zwar gelichtet, die Sorgenfalte auf der Stirn vertieft und der Blick
der dunklen Augen leicht getrübt. Die gute Laune war ihm dennoch nicht abhandengekommen,
und das war ja wohl das Wichtigste. Jetzt, da die Zeit weit vorangeschritten war,
hieß es nur noch, das richtige Duftwasser auszuwählen, das weiße Markenhemd samt
Krawatte und dunkelblauem Maßanzug anzuziehen und einen allerletzten Blick in den
Spiegel zu werfen. Und sich im Anschluss daran den letzten Schliff in Form eines
Seidenschals und eines extravaganten Panamahutes zu geben.
    Fertig.
    Mozarts
›Ah, tutti contenti!‹ [12] vor sich hinsummend, schlenderte Morell zur Tür und verließ die Mansardenwohnung,
welche er sich, wie vieles andere, nicht leisten konnte.
    Er sollte
sie nie wieder betreten.
    Das Gleiche
galt für das fünfstöckige Mietshaus in der Nähe des KaDeWe [13] , das soeben die Pforten öffnete. Morell ließ die
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