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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Autoren: Hannah Arendt
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Partisanenkämpfen herumzuschlagen hatte. In diesem Fall waren es die Militärs, die zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen beschlossen durch die Erschießung von 100 jüdischen und Zigeuner-Geiseln für jeden getöteten deutschen Soldaten. Zwar wußte jedermann, daß weder die Juden noch die Zigeuner Partisanen waren, aber – so meinte der zuständige Zivilbeamte bei der Militärverwaltung, ein Staatsrat Harald Turner – »die Juden haben wir sowieso in den Lagern; schließlich sind sie auch serbische Staatsangehörige, und verschwinden müssen sie sowieso« (siehe Raul Hilberg, »The Destruction of the European Jews«, 1961). General Franz Böhme, der Wehrmachtskommandant des Gebietes, hatte diese Lager eingerichtet, in denen aber nur männliche Juden interniert waren. Weder General Böhme noch Staatsrat Turner brauchten Eichmanns Zustimmung, um Juden und Zigeuner zu Tausenden erschießen zu lassen. Schwierigkeiten mit Eichmann entstanden erst, als Böhme ohne Hinzuziehung der in Serbien stationierten Polizei- und SS-Dienststellen beschloß, alle seine Juden künftig zu deportieren , vermutlich um zu zeigen, daß man nicht auf Sonderkommandos angewiesen war, um Serbien »judenrein« zu machen. Eichmann, den man informierte, da es sich um eine Deportationsangelegenheit handelte, verweigerte seine Zustimmung, da diese Aktion mit anderen Plänen kollidiert hätte; aber nicht Eichmann, sondern Martin Luther vom Auswärtigen Amt erinnerte General Böhme daran: »In anderen Gebieten [das heißt in Rußland] haben andere Wehrmachtskommandeure sich mit wesentlich größeren Zahlen von Juden befaßt, ohne dies überhaupt zu erwähnen.« Wenn also Eichmann tatsächlich »Erschießen« vorschlug, dann hieß das lediglich, daß die Militärs weiterhin tun sollten, was sie ohnedies längst taten, und daß sie selbst für das Erschießen, aber nicht für Deportationen von Geiseln zuständig waren. Um eine Angelegenheit des Reichssicherheitshauptamts konnte es sich schon darum nicht handeln, weil nur Männer betroffen waren. Die »Endlösung« wurde in Serbien 6 Monate später in Angriff genommen, als man Frauen und Kinder zusammenholte und in fahrbaren Gaskammern umbrachte. Im Kreuzverhör wählte Eichmann wie üblich die komplizierteste und unwahrscheinlichste Erklärung: Rademacher habe die Unterstützung des Reichssicherheitshauptamts, also von Eichmanns Dienststelle, gebraucht, um sich in dieser Angelegenheit innerhalb des Auswärtigen Amts durchzusetzen, deshalb hätte er das Dokument gefälscht. (Rademacher selbst hatte diesen Vorfall 1952 in seinem eigenen Prozeß vor einem westdeutschen Gericht erheblich plausibler dargestellt: »Die Wehrmacht war für Ruhe und Ordnung in Serbien verantwortlich und mußte rebellierende Juden erschießen.« Das klang zwar einleuchtend, war aber gelogen, denn wir wissen – aus Naziquellen –, daß die Juden nicht »rebellierten«.) All dies hätte in einem normalen Prozeß kaum gerechtfertigt, eine Bemerkung am Telefon als Befehl zu interpretieren, zumal diese Konstruktion implizierte, daß Eichmann in der Lage war, Generälen der Wehrmacht Befehle zu erteilen.
    Ob er sich schuldig bekannt hätte, wenn er der Beihilfe zum Mord angeklagt worden wäre? Vielleicht, doch hätte er wesentliche Einschränkungen gemacht. Was er getan hatte, war nur im Nachhinein ein Verbrechen; er war immer ein gesetzestreuer Bürger gewesen, Hitlers Befehle, die er nach bestem Vermögen befolgt hatte, besaßen im Dritten Reich »Gesetzeskraft«. (Die Verteidigung hätte zur Unterstützung von Eichmanns These jeden beliebigen Verfassungsexperten im Dritten Reich zitieren können, die alle ausführlich darüber geschrieben haben, daß der Führerbefehl das Kernstück der geltenden Rechtsordnung darstelle.) Dies wüßten die Leute, die jetzt von ihm, Eichmann, verlangten, er hätte damals anders handeln sollen, einfach nicht, oder sie hätten vergessen, wie die Dinge zu Hitlers Zeiten ausgesehen haben. Er jedenfalls wollte nicht zu denen gehören, die nachträglich versichern, »daß sie immer schon dagegen gewesen waren«, wenn sie in Wirklichkeit eifrig getan hatten, was man ihnen zu tun befahl. Doch die Zeiten ändern sich; er war, wie so viele andere (einschließlich der Juristen) »zu neuen Einsichten gekommen«. Was er getan habe, habe er getan, er wolle nichts abstreiten; vielmehr sei er bereit, »als abschreckendes Beispiel für alle Antisemiten der Länder dieser Erde« sich selbst öffentlich zu
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